Montag, 3. November 2008

Was ist eigentlich funky?

"Najti menja!" - "Finde mich!" sang die sowjetische Pop-Ikone Alla Pugacheva 1986 live im verstrahlten Tschernobyl. Genau das trifft den Nagel auf den Kopf. Musik, die das Prädikat "funky" verdient, will gefunden oder zumindest neu entdeckt werden.

Direktübertragung eines Alla-Pugacheva-Konzertes im sowjetischen Staatsfernsehen aus Tschernobyl, 1986

In der Tonband- und Kassettensammlung unserer Eltern fanden wir ganz sicher keinen James Brown oder George Clinton und auch keine Jackson Five. Im Ferienlager persiflierten wir Pionier- und Partisanenlieder und fanden uns dabei unwahrscheinlich lustig. Aus "Pioniere voran" wurde "Wiener Würstchen voran" und aus "Bella Ciao" schnell auch mal "dumme Sau".


Das vorproduzierte Musikvideo zu Alla Pugachevas "Najti menja!"

Dem Ost-Elvis Dean Reed gelang diese Verschiebung auf rein musikalischer Ebene. Schon nach der zweiten Strophe verliert das Lied auf seinen Lippen den ursprünglichen Pathos. Reed bricht ein Tabu. Er setzt spielerische Akzente mit seiner Stimme und packt soviel positive Leidenschaft in dieses eigentlich traurige Lied, das bis dahin keine Big-Band-Instrumentierung kannte. An der Textstelle: "Wenn ich sterbe, oh ihr Genossen, bringt mich zur letzten Ruh?!" geht er erst richtig aus sich heraus. Reed bricht Den Kampfwillen, den "Bella Ciao" ursprünglich wecken sollte. Stattdessen weckt der DDR-Ami mit seiner Euphorie die Tanzlust Der Hörer, doch das sozialistische Publikum ist gut konditioniert und bleibt klatschend in den Stühlen kleben.

Dean Reed singt 1985 bei den Weltjugendfestspielen in Moskau

Funk lässt sich schwer staatlich verordnen. Doch genau das versucht der Oktoberklub. Als führender Kopf der Agitprop-Singebewegung (Agitprop stand für Agitation und Propaganda) sollte er die musikalischen Einflüsse der 68er-Nachwehen, der Rocker, Folkmusiker und Singer Wongwriter auffangen, adaptieren und in überschaubare Kanäle leiten.


Der Oktoberklub singt: "Das geht los" bei den 10. Weltfestspielen in Berlin

"Schaff deine Norm und schaff noch was darüber, was Du mehr schaffst, schickst Du nach Vietnam rüber", heißt es in
"Das geht los". Dieser Song ist ein typisches Beispiel für Deutsche, die versuchen ganz locker zu sein und Musik zu machen, eine Art Loveparade im Blauhemd. Die singenden FDJler wirken ganz schön steif und das Klatschen erinnert doch eher an den preussischen Stechschritt der NVA-Soldaten beim Zapfenstreich vor der Neuen Wache Unter den Linden. Mit der nötigen Distanz kann man dem Liedchen aber wieder etwas Cooles abgewinnen. Cool genug für Pilskills, die den Track vor ein paar Jahren für ihr Bühnen-Intro zu neuem Leben erweckt und damit "funkafied" haben.

5 Kommentare:

A Kid Called Drum hat gesagt…

http://www.zshare.net/audio/1570756724cd5f91/

ein mix von mir zum thema...

bemme51 hat gesagt…

geil. derbes danke für die zusammenstellung der videos.

Anonym hat gesagt…

Respekt, wirklich gut gemacht und das Material ist Spitze. Muss doch mal die Plattenkiste aus Amigazeiten abstauben.

trugschluss hat gesagt…

auch von mir ein danke für die mühe. bella ciao!
und ein merci auch für das mix, bin gespannt...

Anonym hat gesagt…

Uaaaa, der etwas andere Funk.
Klasse Beitrag!