Mittwoch, 23. Dezember 2009

Dreiundzwanzigstes Türchen

Jenz Steiners 23. Weihnachtsgeschichte startet als Lovestory, liefert aber einen Einblick in Berliner Lebenssphären, die den meisten Stadtbewohnern sonst verborgen bleiben.

Warum musste ich mich so doll in diese süße Amerikanerin verlieben, dass ich ihr von meinen Zivildienst-Ersparnissen einen Flug nach Deutschland bezahlte, um mit ihr hier 1998 Weihnachten und Sylvester zu verbringen? Gerade hatte ich sie vom Flughafen Tegel abgeholt und in meinen nagelneuen und pfirsichroten Renault Clio gesetzt und war mit ihr bis in die Seestraße im Wedding gekommen. Da schepperte es. Auf der Nebenfahrbahn war jemand am Lenkrad eingeschlafen und steuerte seinen Audi im Schlaf direkt in meine Fahrertür.



Mit meinem Alcatel (RFT)-Handyknochen rief ich gleich die Miliz. Die Weihnachtsstimmung war im Eimer. Das mit der Polizei war ihm gar nicht so recht. Er fragte mich die ganze Zeit, ob wir das nicht unter uns klären könnten. Er habe auf „den Verein“ nicht so wirklich Lust. Der Grund dafür blieb mir nicht lange verborgen. Der Typ war ein Zivibulle, der sich geschickt aus der Affäre ziehen wollte. „Wenn das rauskommt, hab ich das Genickschusskommando auf dem Hals, im wahrsten Sinne des Wortes“.

Da er sich wohl schon ein paar Schnitzer in seiner bisherigen Karriere erlaubt hatte, wollte er sich vor seinen Kollegen nicht unbedingt outen. „Weißt Du wie schwer es ist, als unehrenhaft entlassener Drecksbulle wieder einen Job zu finden?“ Ich konnte es mir vorstellen. Sollte ich Mitleid haben? Er hatte gerade mein neues Auto zerlegt, mein Weihnachten versaut und dafür gesorgt, dass meine große Ami-Liebe nach 12 Stunden Flug nun eine Stunde in der Weddinger Winterkälte stand. Ich spielte mit und deckte ihn vor seinen grünen Kollegen vom Verkehrsunfallkommando. Statt über die Landeskasse wickelten wir den Schaden über seine Privatversicherung ab.



Er gab mir die Nummer eines „Schrauberkumpels“ in Spandau, bei dem er noch was gut hätte. Der Schrauberkumpel, den ich kurz nach Neujahr aufsuchte, war ein muskolöser Auto-Mafia-Typ mit gepflegtem Rocker-Bärtchen, ganz in schwarz, in Lederhosen, mit Wollmütze und langem Mantel, darunter ein Koppel mit Knarrenhalfter, einer großen Mac Light Lampe, Funkgerät und Handy. Er hatte sich auf einem ehemaligen Militärgelände der britischen Alliierten eingerichtet.
Um dorthin zu gelangen, musste man erst durch die Polizeikaserne in Ruhleben fahren, kam dann auf ein Straßenkampf-Übungsgelände der Briten, auf dem zerballerte U-Bahn-Waggons und fensterlose Plattenbaurohbauten rumstanden. Hier gab es alles. Kirchen, Supermärkte, Wohnhäuser. Eine künstliche Geisterstadt. Hinter der Fighting City lag ein großer Schrottplatz.

Überall alte Autos, neue Autos, schweigsame Blondchen, Winkelschleifer und Hebebühnen … keine Ahnung, was hier lief. War mir auch egal. Der stämmige Herr verlor nicht gerade viele Worte, wusste aber genau, was er tut und für wen. Es gab drei kurze und klare Ansagen. „Komm mit!“, „Warte hier!“ und „Bitteschön. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan. Der Mohr kann gehen!“ Meinte er damit sich oder mich? Egal, ich hielt eine typengleiche Tür für meinen Renault Clio in der Hand, in blau, nicht in pfirsichrot. "Tschö mit ö.", "Jenau!". Das "Danke.", "Ach, nüscht zu danken." spielte sich eher mit Blicken, auf so einer körpersprachlichen Ebene ab.
Von nun an war mein Auto für mich und jedermann schon aus der Ferne leicht zu erkennen.

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