Noch 24 laute Tage bis zur stillen Nacht. Ich werde nun an dieser Stelle jeden Tag ein kleines Türchen in meinem Kopf öffnen und eine kleine Weihnachtshiphopgeschichte aus Berlin Prenzlauer Berg erzählen.
Der Winter 1989 war für uns der Winter der Anarchie, obwohl wir nicht mal wussten, was das ist. Die Freiheit war groß und grenzenlos. Unser Wissen von der weiten Welt war hingegen winzig klein. „Was ist eigentlich ein Ghettoblaster“, fragte ich meinen Kumpel David irgendwann im Dezember. Er meinte, das sei sowas wie ein Kassettenrekorder. War Blaster sowas wie Plaste? Was hatte das Ghetto mit einem Kassettenspieler zu tun? Wir wussten es einfach nicht.
Kurz nach dem Mauerfall eröffneten bei uns im toten Bötzowviertel die ersten kleinen Läden. In der Dimitroffstraße gab es plötzlich "Horsts Hifi-Stübchen". Das mussten wir uns eines trüben Nachmittags näher beschauen. Im Laden standen ein paar Boxen, ein paar Anlagen, aber keine Verkäufer. Im Lagerraum des Ladens klang es so als hätte Horst gerade ernsthaften Streit mit seinem Personal. Ohne zu zögern schnappten wir uns den Kassettenrekorder, der gleich im Regal an der Tür stand, rannten aus dem Laden, rüber zum Mittelstreifen, über die Straßenbahnschienen zum Stierbrunnen. Wir versteckten uns unter der Sandsteinschale des Brunnens. Wir konnten uns nicht mehr halten vor Lachen. Doch schnell schwang unsere Stimmung um.
„Sind wir total bekloppt? Wir können doch nicht klauen!“, meinte ich. Ich malte mir schon aus, was ich mir von meinen Eltern anhören dürfte, wenn das rauskäme. Na danke. David konnte meine Vorbehalte noch nicht ganz teilen. Nach ein paar Minuten sah er aber auch ein, dass das gerade keine clevere Aktion war.
Was nun? „Komm, wir schmeißen das Teil ins Gebüsch!“, schlug er vor. Ich war dafür, dass wir das Teil zurück in den Laden bringen. Wir liefen mit unserem neuen Ghettoblaster wieder über die Dimi, schmulten kurz in den Laden, immer noch niemand vorne. Tür auf, Rekorder zurück ins Regal. Der Streit im Hinterzimmer war immer noch im Gange, verstummte aber plötzlich. Horst kam nach vorn. „Kann man Euch helfen?“ - „Nö, uns is nich zu helfen. Wir kieken nur.“. Nach fünf Sekunden hatten wir aber schon alles gesehen, verabschiedeten und mit einem höflichen „Is nich unsre Preisklasse. Tschö!“ und nahmen die Beine in die Hand. Ganz so grenzenlos war die Zeit dann doch nicht.
Dienstag, 1. Dezember 2009
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4 Kommentare:
steiner x zitterbacke ... als das bötzowviertel noch grau war. danke jenz.
schöne geschichte, schön nach so nem 25 Jahre 3Sat Besäufnis mit Jan Delay, wo ich gerade herkomme. Bringt mich auf den Boden. As my man Vau put it: Danke.
schöne geschichte, bitte mehr davon!
:)
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