Am Stiefelputzsamstag erzählt Jenz Steiner, wie er sich für den Erhalt seiner Lieblings-HipHop-Sendung auf dem von der Abschaltung bedrohten Ex-DDR-Jugendsender DT64 den Arsch abfror und dabei sein Herz verlor, während andere beherzte Berliner zu härteren politischen Mitteln griffen.
Weihnachten 1991 verbrachte ich, abgesehen vom Festessen daheim, fast vollständig frierend am Haupteingang des Berliner Fernsehturms, an der Mahnwache für den Erhalt von Jugendradio DT64. Klirrende Kälte, rauschende Radios und knisternde Stimmung. Wir sammelten massig Unterschriften und schlürften Tee aus Thermoskannen und NVA-Feldflaschen mit Einstrich-Keinstrichtarnmuster. Andauernd brachten Leute Spenden: Suppe, Brötchen, Kerzen, Kuchen, aber auch Decken und Schlafsäcke.
Ich verliebte mich dort ein bisschen in die süße Lola, ein Hippie-Mädchen aus meiner Parallelschule. Oh, die hatte so volle Lippen, lange dunkle Haare, eine Stubsnase, einen lustigen, aber ruhigen Blick und so einen hässlichen olivgrünen Armee-Parka wie ich. Auf ihrem stand „We want more DT64“ Ein Palituch hatte sie auch. Mein junges Herz pochte wild, doch ihre Freundin Karla ließ mich nicht ran an Lola. Einmal nahm ich all meinen Mut zusammen. Ich hatte mir schon ein paar sinnvolle Sätze überlegt. Doch kurz bevor ich sie ansprechen wollte, bekleckerte ich mich mit heißem Früchtetee. Sie lachte, ich lief rot an und ließ es bleiben. War mir das peinlich! Mir war heiß bei -8 Grad.
FAB-Reportage über die schleichende Abschaltung von Jugendradio DT64 vom Jahreswechsel 1991/92.
DT64 war im Norden nicht mehr zu hören. In Berlin sendete ab Mitternacht erstmal die Senderkette der neuen Landesanstalten MDR und ORB, dann erstmal wieder DT64, und zwischen 15 und 18 Uhr ein Fenster des neuen ORB-Jugendprogramms, das erst Rockwelle B, dann Rockradio B heißen sollte. Vertraute Stimmen hörte man da. Der ORB hatte im Vorfeld einen Teil der DT64 Crew abgeworben. Eine HipHop-Sendung gab es für die nächsten Wochen erstmal nicht mehr.
Der Jugendradiokampf war eine krasse Zeit. Das war wirklich „Power von der Eastside“. Deutschlandweit Demos, Besetzungen und Mahnwachen: sowas gab es nie zuvor und nie wieder. Nicht bei der Abschaltung von Radio100, nicht Radio 4U, nicht bei rias 2 und auch nicht bei Rockradio B. Der neue ORB-Intendat Rosenbaum und die Herren im Berliner Kabelrat hatten ganz schön die Hosen voll.
Die DT64-Mahnwache in Berlin zog viele interessante Menschen magisch an. Etwa den impulsiven Lenin, ein revolutionärer Redskin, natürlich mit roter Bomberjacke, Aufnähern, Docs mit roten Schnürsenkeln und zwei Zahnlücken. Mit seinem kleinen roten Nothammer, der vorher mal im neuner Bus hing, hatte er am Heiligen Abend in einer mehr oder weniger revolutionären Aktion den kompletten Bahnhof Alexanderplatz und die Schaufenster aller umliegenden Gebäude entglast und mit einer hitzeroten Dose „DT64 bleibt“ ans alte Centrum-Warenhaus, an den Berliner Verlag und ans Hotel Stadt Berlin gesprüht. Das von ihm erhoffte Medienecho blieb aus. Die Glasschäden waren innerhalb von einem Tag behoben. Die Farbe hielt noch eine Weile.
Samstag, 5. Dezember 2009
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2 Kommentare:
grossartig! go steiner!
einmalig.
gruß an jenz.
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