Ich bangte Ende 1991 nicht ohne Grund um Jugendradio DT64 und ganz besonders um André Langenfelds „YO-Show“. Wie sollte ich sonst an meine Musik kommen? Leere Kassetten waren mein Taschengeld. Die letzten fünf bis sechs Sendungen auf DT waren die besten überhaupt, mal abgesehen von den Specials zu Public Enemy und NWA oder den tollen Old-School-Sendungen. Seit Langenfeld nach der Wende nach seinen Gastauftritten bei Lutz Schramms Sendung Vibrationen seine eigenen 60 Minuten bekam, hatte ich sonntags, neunzehn Uhr nahezu jede Sendung mitgeschnitten. Viele Tapes habe ich so oft gehört, dass ich die Tracklists und alle An- und Abmoderationen immer noch auswendig kann.
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Techno-DJ Marcos Lopez 1991 im DT64-Studio
In den letzten Shows war richtig was los. Da lief mal ein halbstündiger Mix von DJ Dennis vom DJ-Shop in Kreuzberg, mal ein Demo von X10det Spirit und Three Men Nation, einer Rap Gruppe mit englischen Texten aus Berlin Marzahn und Hohenschönhausen. Einer von denen hat musikalisch überlebt - Razzia. Der nennt sich nun seit ein paar Jahren Joe Rilla und feiert in seinen Liedern das Leben im Plattenbau. Ein anderes Mal war Andreas Welskop von der SWAT-Posse im Sender in der Köpenicker Nalepastraße, berichtete von einem geplanten Fanzine, falls es mit YO nicht so weitergehen sollte wie bisher und kündigte die erste HipHop-Party in Prenzlauer Berg an - am 30. Dezember im Jugendklub Atelier 89. Natürlich rief ich gleich die DT-Hotline 5777 an und gab meine Adresse durch. Das war mein erster Kontakt mit Andi, der bald zu meinem wichtigsten kulturellen Wegbereiter werden sollte.
Vielleicht wird manchen Leserinnen und Lesern nun klar, warum die punkigen Vorläufer von Rammstein und chaotische Sender wie DT64 in der Nachwendezeit eine größere Rolle für die Entwicklung von HipHop-Kultur in Prenzlauer Berg spielten als MTV, Radio 4U oder Filme wie Wildstyle oder Beatstreet.
Einer meiner wertvollsten Mitschnitte ist das Yo-Deutsch-Rap-Special von Ende November 1991 anlässlich der Veröffentlichung des ersten deutschen HipHop-Samplers "Krauts With Attitude". LSD, Die Fantastischen Vier und Controversial Unique Style waren die ersten Tracks, die da liefen. Besonders beeindruckt war ich vom leider schon verstorbenen Ami Dee Rahimic von „Partners of Crime“ aus Berlin. Am Ende der Sendung sagte Langenfeld die Kontaktadressen der Gruppen durch und ich nahm mit fast allen auch direkt Kontakt auf. Eine vollkommen neue Welt tat sich mir auf. Ich war nicht der Einzige! Cool. Die Old-School-Electro-Sendung am 23. Dezember mit Whodinis Magic's Wand, The Fearless Fours „Rockin it“ und Dominatrix „Dominatrix sleeps tonight“ wurde mein Weihnachtssoundtrack.
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4 Kommentare:
Hallo,
vielen Dank erstmal für deinen interessanten Text!
Ich war auch ein riesiger DT64-Fan (Apropos: Kennst du http://www.radio-geschichte-dt64.de/? Zwei Veranstaltungen sind noch!), und wollte daher fragen, ob du deine Mitschnitte evtl. digitalisiert hast und mit mir teilen würdest?
Ich habe inzwischen eine Menge Tauschmaterial.
Tschüs!
In digitaler Form habe ich leider nichts, aber auf youtube findet man ein paar Doktor Chaos Mitschnitte und Lutz Schramm hat einen Parocktikum Podcast. Pan Balitzky hat sein Feature zu DT auch online.
Hey Steiner,
Danke für deine Texte. Echt interessant was du da erzählst, da ich diese Sichtweise nicht kenne und es doch sehr faszinierend ist wie sich das alles entwickelt hat über die Jahrzehnte.
Probz an dich!
Hallo,
vielen Dank für deine Antwort!
Schade, dass du deine Mitschnitte noch nicht digitalisiert sind, aber vielleicht kommst du ja mal noch dazu? Ich würde mich freuen!
Tschüs!
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