Mittwoch, 2. Dezember 2009

Zweites Türchen

Froh und munter geht es weiter mit Steiners lustigen HipHop-Weihnachtsgeschichten aus Berlin Prenzlauer Berg. Heute, am 2. Dezember, erzählt er, wie der Kultladen Bastlerquelle sein Tafelsilber verscherbelte, wie er dadurch zum Radio-O-Ton-Sammler wurde und damit die Mädchenwelt verschreckte.

Immobilien waren im Osten bis 1989 nichts wert. Autos, Fliesen und Kassettenrekorder hingegen waren Kapitalanlagen. Wer bislang keine Freunde hatte, konnte sich damit welche machen. Ganze Stereoanlagen waren schwer zu haben und sehr teuer. Ersatzteile, Reinigungskassetten und Tonbänder bekam man in der Bastlerquelle, einem immer überrannten Elektroersatzteilladen in der Dimitroffstraße/ Ecke Greifswalder Straße. Da stand ein immer ein kleiner, dunkelbärtiger Mann mit runden Backen, nach hinten gekämmten Haar und dunelgrauem Kittel hinter dem Tresen und kramte Widerstände, Sicherungen oder Schutzkontaktstecker aus hunderten kleinen Holzschubladen hervor, die alle Wände bis zur Decke verbargen.



Die tollste Aussenreklame der DDR: RFT-Sternradio, am Königstor, Greifswalder Straße, Ecke Straße am Friedrichshain, Prenzlauer Berg


Nach dem Mauerfall holte er seine RFT-Stereowertanlagen aus dem Lager und packte sie für 50 bis 80 DDR-Mark in die Schaufensterauslage. Mein Vater griff zu. Unter unserem letzten Ost-Weihnachtsbaum lagen nun eine RFT-Kompaktanlage mit Plattenspieler, ORWO-Leerkassetten, ein RFT-Tapedeck und ein RFT-Receiver. Kann es mal sein, dass meine Mutter Weihnachten 1989 leer ausging? Nein, ich glaube nicht. Ich fing jedenfalls sofort an, den skurrilsten Schrott im Radio aufzunehmen: Jingles, Reportagen, Hörspiele, Versprecher von Moderatoren und alles, was irgendwie schräg oder etwas zu gerade klang. Eine dieser anstrengenden Soundcollagen schenkte ich Sabine aus meinem Erste-Hilfe-Kurs. Auf die Hülle schrieb ich mit meinen neuen Neon-Filzstiften immer wieder übereinander „Radio Chaos, Radio Chaos, Radio Chaos“.

Erst freute sie sich über dieses individuelle Geschenk, doch eine Woche später bekam ich beim nächsten Sani-Kurs mein Kunstwerk postwendend vor die Nase geknallt. „Hier, kannste behalten dein Scheiß!“ Aua, das tat weh. Aber wenigstens sind mir so meine wertvollen Reportage-O-Töne von der Militärflugzeug-Katastrophen in Rammstein und Remscheid nicht abhanden gekommen, die ich mit Lunte ein Jahrzehnt später für unser „Flugtraining“-Lied verwertet habe.


Mein Schatz: Das RFT HMK-D 100 Tapedeck

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

„Radio Chaos, Radio Chaos, Radio Chaos“ !D - ich habe mich immer schon gefragt, wie die Werbung oben am Königstor wohl vollständig ausgesehen haben muss. Haben sie die nicht jetzt vor kurzem endgültig abgenommen? Ich dachte, ich hätte sowas mitgekriegt, als ich mit der Tram da lang kam ... Trauer :P

Breaque hat gesagt…

die beste werbung meiner kindheit!!!
(auch wenn sie da glaub ich schon kaputt war)...

OFF-kut hat gesagt…

nicht zu vergessen der hammer eisenbahnladen unten drin und die beste drogerie weit und breit.
als die straße noch richtig hieß, nämlich hans-beimler-str. zwar auch nach-wende, aber egal.

auf dem nachhause-weg aus der grundschule (heinrich-roller-str,) haben wir als kinder immer versucht an den reglern zu drehen, mochte natürlich nie funktionieren... außer in unsere fantasie
schade eigentlich.

Dexter hat gesagt…

schön! freu moch schon auf tür 3!
was hab ich eigentlich zu dieser zeit gemacht? wahrscheihnlich prügelte ich mich mit hoologans von einem anderen weingut (grüsse an falko oder julius, wer auch immer das gesagt hat...)

Anonym hat gesagt…

lad doch mal das tape hoch...

Unknown hat gesagt…

Hab in dem Haus einen Teil meiner Kindheit verbracht, mir an dem Modellbahnladen oft die Nase plattgedrückt. Die Werbetafel existiert immer noch. Hab ne Vermutung, warum: sie trägt Mobilfunkantennen und soll diese wohl auch verdecken...