Samstag, 04. Dezember 1999
Also Tim hat echt 'nen Knall. Heute hat er mich angerufen und mit meinem Diktiergerät irgendwelches Quieken und Gebrumme vorgespielt. Ich dachte erst, das wären seine Tieraufnahmen aus dem Zirkus. Fehlanzeige. Er hat in der Charité die senilen Omis aufgenommen, die er mit dem Rollstuhl oder im Krankenbett von ihren Stationen zur Behandlung oder in den OP-Saal schieben musste.
Klar, das war auf eine makabere Weise lustig, aber ich fand es voll daneben und respektlos. Er fand es voll cool. Er will „das Projekt“ sogar ausbauen und daraus eine riesige Sound-Collage machen.Nach dem Zivi will er sich damit an der HdK und an der Kunsthochschule Weißensee bewerben. „Hab Dich nicht so! Schlingensief ist auch nur Fame geworden, weil er Behinderte auf die Bühne gestellt hat.“
Moby - Everloving: für Andy (aka Andy Waffen) und Laura (aka Queen Laureefa) der Soundtrack zum Haareschneiden
Später war ich bei Laura im Göhrener Ei. Ich hab ihr lieber nichts davon erzählt, Tim zuliebe. Sie wollte mir die Haare schneiden und setzte mich auf einen alten Klavierhocker. In ihrer Mädchenanlage lief ein Tape mit dem neuen Album von Moby, Handsome Boy Modeling School und irgendwelchem Drum 'n' Bass Kram.
Der Ofen heizte auf Hochtouren. Sie legte noch ein paar Kohlen nach und erzählte mir, wie sie im Sommer allein nach Jugoslawien getrampt ist und da einem Typen ihr Schweizer Messer in die Hand gerammt hat, weil er sie im Auto betatschen wollte. Sie ist dann heulend und wütend durch die Nacht gerannt, bis nach Subotica an der ungarischen Grenze.
So krasse Geschichten hatte ich nicht auf Lager. Ich hab nur erzählt, wie ich mal an der Ostsee lang bis nach Kaliningrad laufen wollte und mir schon auf Usedom alles geklaut wurde, bis auf meine Badehose und mein T-Shirt. Von all den Peinlichkeiten auf dem Rückweg barfuß nach Berlin habe ich viel ausgelassen.
Laura wollte, dass ich mir zum Haareschneiden meinen Pullover und mein T-Shirt ausziehe. Ich habe gesagt, dass mir das zu kalt wäre. Ich Wirklichkeit hatte ich Angst, dass sie mich zu fett oder mein Muttermal am Rücken hässlich findet oder sich über die kleinen Inseln auf meiner Brust lustig macht, auf denen zwei, drei jämmerliche Härchen sprießen. Ich glaube, sie hat das gemerkt. Frauen haben echt Antennen für sowas.
Da saß ich nun vor ihr – mit unglaubwürdig fröstelndem Oberkörper und heißen Wangen. Sie drückte mir die Spitze ihrer kalten Heckenschere zwischen die Schulterblätter und zog eine senkrechte Linie ins Fleisch – bis zu den Nieren. Das tat weh, doch ich hielt still. Laura zog meinen Schopf nach hinten und beäugte mich skeptisch von oben. „Vertraust Du mir nicht?“. Meine Antwort kam spontan. „Du hast 'nem Typen die Hand zerstochen!“
Sie grinste hämisch und fuhrwerkte mir die nächste halbe Stunde mit ihren Scherenhänden auf dem Kopf herum. Schidipp, schidipp, schidipp und die dicke Mähne fiel Büschel für Büschel auf meine Schultern. Mobys Everloving Song lief und Laura sagte aus dem Nichts heraus: „Ich mag dich wie du bist“. Erst als das Lied vorbei war, kam von mir ein „Ick dir och“.
Ich hörte sie nur zweimal kurz hintereinander durch die Nase ausatmen und spürte ihren weichen Pullover jetzt noch öfter an meinen Oberarmen. Plötzlich war mir wirklich nichts mehr peinlich. Nicht mal, als sie meinte, dass ich links über dem Ohr voll viele Schuppen hätte. Gerade habe ich bemerkt, dass ich eine lange Grindspur auf dem Rücken habe. Naja, in meinem Weihnachtskalender war heute eine Kerze.
Samstag, 4. Dezember 2010
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
4 Kommentare:
hallo, ich hab ein instrumental album gemacht, wärs möglich das hier reinzustellen?
hey micha. ich bin zwar kein GTDK-Autor aber bin interessiert. kannst mir den link oder das teil per e-mail senden. würd mich freuen:
newtrax@hotmail.de
klar..ist halt so boom bap zeug, die sachen vergammeln sonst nur auf der festplatte.ich werd den link dann hier reinstellen
kannst du machen. ich emcee und würd deine beats berappen, natürlich wenns uns beiden passt. schreib mir.
Kommentar veröffentlichen