Dienstag, 19. August 2008

Endlich im Fernsehen Part 2

Gestern hat RTL2 einen wichtigen Kulturbeitrag geleistet. Für mich sind RTL2-Serien ein bisschen so, wie wenn ich nach 20 Uhr im Penny einkaufen gehen. Das soll jetzt nicht ignorant klingen, nur in etwa die Stoßrichtung der Serie vorgeben. Jedenfalls werden in der auch so schon hochklassigen Sendung "Der Bluff" aus Imbissbuden-Hilfen 4 Sterne Köchinnen oder eben aus Studenten/Doktoranden ein gefährlicher Gangstarapper. Normalrapper wäre nämlich voll langweilig, weil dann klar würde, dass der Rapper als solcher nicht unbedingt und zwangsweise dem RTL2 Zielpublikum entstammt und entspricht. Ich habe mir diese Sendung nicht entgehen lassen und hatte meinen Spass. Ernsthaft. Jedenfalls war der Effekt dieser Sendung wieder sehr gewinnbringend für HipHop als Sub/Pop/Kultur. Oder um es mit einem Zitat dieses(Kultur) Spiegelartikels zu sagen...



Akademisch? Drastisch!

In der Pilotfolge geht es um Gangsta-Rap. Der steife Literaturstudent Christian soll Rap-Texter werden. Auf seiner "faustischen Reise", wie der Goethe-Fan den vierwöchigen Ausflug nennt, begegnen ihm seltsam düstere Gestalten, seine beiden Lehrmeister, die Rapper Ali A$ und Xatar zum Beispiel. Sie sollen dem schmächtigen Feingeist den akademischen Sprech austreiben und geben ihm einen Crash-Kurs in Sachen Gangstertum: XXL-Shirt statt Oberhemd, Protzen statt Demut und "Ficken" statt Liebe.

Dramaturgisch ist das gut gemacht. Christian wird auf dem Weg zur Oper oder im Kreise seiner Freunde gezeigt, eine Runde beschlipster Langweiler, die gemeinsam das Volkslied "Horch, was kommt von draußen rein" ("Hola Hi Hola Ho") intonieren. Als Kontrast tritt Xatar mit einem Video in Erscheinung: "Mach keine Faxen sonst ficke ich dich", rüpelt der Rapper ins Mikrofon.

Als Christian schließlich in einer Lagerhalle erstmals auf seine HipHop-Kollegen trifft, steht ihm eine Truppe mit Kampfhunden bewaffneter Lederjackenprolls gegenüber. Solche Klischees und Überzeichnungen sind die Stilprinzipien des "Bluff".

Auf der einen Seite Muskelgebirge mit Migrationshintergrund, die finster gucken; auf der andern der 30-jährige Bildungsbürger Christian, dem auf einmal Goethe in die Glieder fährt: "Und wandelt mit bedächt'ger Schnelle vom Himmel durch die Welt zur Hölle." Diese Karikatur ist natürlich kindisch und reduziert nicht gerade die Vorurteile gegenüber türkisch- und arabischstämmigen Jugendlichen. Im vermeintlichen Clash of Civilisations steckt aber auch die Komik der Sendung.

Wobei man gar nicht genau weiß, wer denn nun eigentlich der Freak ist, über den man sich lustig machen soll: Der dichtende Barde Christian oder die vulgären Rotzmäuler Ali A$ und Xatar, die völlig selbstverständlich Frauen als "Fotzen" beschimpfen und deren Lieblingsschimpfwort "Schwuchtel" ist.

Immer, wenn es sprachlich zu drastisch wird, rutscht der etablierte Deutsch-Rapper Sammy Deluxe ins Bild. Er muss dann als Oberlehrer des HipHop erklären, dass homophobe Texte zum harten Rap gehören wie die Golduhr ums Handgelenk. Und natürlich sei diese Rhetorik niemals ernst gemeint.

Gangsta-Rap als Ausbildungsberuf: In einer Musiksparte, die wie kaum eine andere auf Authentizität bedacht ist, in der jeder Text immer auch glaubwürdiges Statement und Reflexion der eigenen Lebenswirklichkeit sein soll, wirkt das besonders absurd. Es trifft aber den Kern unser medialisierten Realität: Die Wahrheit hinter der Inszenierung ist schwer auszumachen, ja sie löst sich im Spiel der Zeichen oft sogar völlig auf.

Wir alle spielen eben doch nur Theater.


Ganz ohne Kommentar lasse ich diesen Spiegelartikel aber nicht fahren. Denn das die Inszenierung der Charaktäre zu großen Teilen einfach nur sehr gewollt wirkte und durch einen mehr oder weniger geschickten Schnitt + die Wahl der Drehorte Widersprüchlichkeiten en masse produziert wurden war von den Sendungsmachern natürlich gewollt. Das Ganze war nun leider etwas sehr plump. Hätte man mal erwähnen können im Spiegelartikel. Aber die fast schon reflexartige Ablehnung vieler HipHop-Aktivisten, wenn es um (kritische) HipHop-Berichterstattung geht, will ich hier gar nicht vollführen.

Traurig ist für mich, dass einigermaßen ernst zu nehmende Repräsentanten der Kultur das Sendungskonzept nicht durchschauen, mediengeil sind, oder und das wäre ganz bitter: Einen Fick geben. Die Eindimensionalität und pure Dissonanz der Samy Deluxe Interviewfetzen zum gesprochenen, beziehungsweise gerappten Wort, war jedenfalls atemberaubend. Sympathiepunkte hat auch kaum einer der Beteiligten gesammelt. Unsympathisch, großkozig, arrogant- oder ganz einfach dumm. So kamen sie meistens rüber. Die Rapperleins.

Am Ende wurde der "Bluff" von der fachkundigen Jury, bestehen aus HipHop-Bravo Redakteur, Kiss-FM Mietze und einem Produzenten/Journalist/Manager auch noch enttarnt. Den Szenekenner hat das Ganze amüsiert, für alle anderen hätten wir das Image mal wieder geschickt untermauert. Was wir gelernt haben. Die Gangstarap-Szene ist in Berlin viel die härter als in Köln. Alles nichts- oder. Promo?

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