Montag, 1. September 2008

Steiners Tapedeck-Story Teil 2

Ein Himmel über zwei Welten

Der Kalte Krieg bescherte Berlin in den späten Achtzigern eine paradiesische Radiolandschaft und mir das Material für den zweiten Teil meiner persönlichen Tapedeck-Story. Ob Agit-Prop und Porno-Talk, ob Evergreens und Ami-Pop, auf UKW bot mir die geteilte Stadt "The Best of both Worlds!".

Fernsehturm gegen Funkturm



















Den Radiohimmel über Berlin konnte keine Mauer teilen. Der Äther war ein Soundsalat aus Rock'n'Roll und roten Liedern, aus Werbung und Wartezeiten-Meldungen der Grenzkontrollpunkte. Ein paar Megahertz neben den Erich-Honecker-Nachrichten liefen auf RIAS, SFB und Hundert,6 Gewinnspiele mit Tarnadressen für DDR-Bürger. Die Alliierten-Stationen BFBS, AFN, Radio France International und Radio Moskau machten die provinzielle Frontstadt zumindest im Hörfunk zur Metropole. Das kurze Dasein des linksalternativen Privatsenders Radio 100 glich einer kleinen Medienrevolution.

>>Listen live: Musikbett von RIAS 2, 1985<< (Real Audio, 1MB)

Die Radio-Atmosphere des geteilten Berlins der Achtziger hat der Filmemacher Wim Wenders in Wings of Desire eher nebenher eingefangen. Doch die Startszene, in der der US-Schauspieler Peter "Columbo" Falk im Flugzeug am Funkturm vorbei schwebt und sich die Sender beider Seiten im Off vermengen, berührt mich noch immer. Ich halte die heute historische Szene eher für einen Kunstgriff des Regisseurs als für einen Vorboten des Mauerfalls.

>>Die ersten sieben Minuten von Wim Wenders "Der Himmel über Berlin"/ "Wings of Desire"<<



Der Film der bereits verstorbenen Radiolegende Barry Graves zeigt gleich zu Beginn den damaligen AFN-Moderator Rick DeLisl. Der Hörfunk-Dinosaurier ist seit einigen Wochen wieder on Air, jetzt auf r.s.2, dem 1992 privatisierten RIAS 2-Nachfolgesender. Teil 2 und 3 des Films hier und hier.

Tarzan im Loop, Radio im Eimer

Aus dem Funkhaus Nalepastraße in Köpenick sendeten die staatlichen Programme Radio DDR I und II, Stimme der DDR, Radio Berlin International, der Berliner Rundfunk und das FDJ-nahe Jugendradio DT64.
Die Hörspiel-Familie Findig vom Berliner Rundfunk und das staubige Jugendjournal „Hallo“ auf Stimme der DDR haben mich irgendwann nicht mehr vom Hocker gehauen. Ich stieg auf Jugendstudio DT64 um. Da duzten mich die Moderatoren auch im normalen Tagesprogramm. Das war voll lässig. Meine Lieblingssendungen waren die "Nichtraucherecke" und die "Maxistunde", in der sonntags zur Mittagszeit Maxi-Singles ausgespielt wurden – in voller Länge.


Im Funkhaus Nalepastraße

Einmal beim Nudeln Essen, sprang meine Mutter wutentbrannt vom Mittagstisch auf und hackte wie wild auf all die dicken Tasten unseres alten Röhrenradios ein - bis es schwieg- für immer. Für sie waren die 40 monotonen Minuten mit einem trockenen Beat und einem geloopten Tarzan-Schrei unerträglich. Ich hatte meine Freude daran und mein Vater auch, glaube ich. Das war mein Schlüsselerlebnis. Wir hatten zum Glück noch ein Radio.

Heute unvorstellbar, früher Standard: Alben zum Mitschneiden




Schallplatten waren rar und unbezahlbar. Doch man konnte damals auch ohne Platten richtiger Musikexperte werden. Die meisten Ostler nahmen mit ihren teuren ORWO-Magnetbändern gerne Chartsendungen wie "Hitglobus" auf. Die vielen Konzertmitschnitte machten den Sendeplatz "Metronom" besonders beliebt. Sendungen wie Parocktikum, Duett und Vibrationen bedienten anspruchsvollere Geschmäcker. "Duett" spielte jede Woche je eine Albumseite von zwei Bands zum Mitschneiden. Heute wäre das unvorstellbar. Mal Jean Michel Jarre, mal Depeche Mode, mal Klaus Schulze. Einen Einblick in verschiedene subkulturelle Musikströmungen gab die Sendung Parocktikum. Ganz selbstverständlich teilten die DT-Moderatoren ihre Westplattensammlung mit uns Hörern und versorgten uns mit Hintergrundinformationen, die man auf keinem Waschzettel finden würde. Run DMC und Beasty Boys liefen im Rahmen dieser Show 1987 erstmals im staatlichen Rundfunk der DDR.



Lutz Schramm räumte in seinen Vibrationen schon 1988 Sendezeit für HipHop-Demotapes aus der DDR ein. Damit brachte er eine Szene ans Tageslicht, die im Osten bis dahin ein absolutes Schattensasein geführt hatte. Da rappte SB-J aka Sandro Bartels aus Arnstadt von der Universal HipHop Family. Die Dresdner Gruppe Three M Men ging gleich auf Konfrontationskurs und disste
den engagierten Showmaster in ihrem sechsminütigen Track "Talk 'Bout Da Scene". Das war neu im Ostradio.

>>Three M Men - Talk 'Bout Da Scene<< (Dresden, 1988)
>>SB-J Demo-Track - Universal HipHop Family<< (Arnstadt, 1988)

Folge 3 in einer Woche: Ohne Westsender-Mitschnitte keine Ferienlagerdisko
Zur Folge 1 "Tonband-Story" hier!

Fotos: Danke an AIP und ostmusik.de.

2 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Wahnsinn!! Ich wusste garnicht, dass im Jahre 1988 überhaupt jemand HipHop machte!

Kenne diesen Sandro Bartels nicht, aber der Track ist nicht schlecht.

Vielen Dank hierfür!

Unknown hat gesagt…

Natürlich meinte ich den 1. Satz auf Arnstadt bezogen.
Ich selber bin gebürtiger Arnstädter und wohne noch immer da.