Freitag, 21. August 2009

Stacheldrahtzaun: Eiserner Vorhang 2.0


So, heute wird wieder polarisiert! "Die Grenze verläuft nicht zwischen Ost und West, sondern zwischen oben und unten", war mal an der Köpi, dem alten besetzten Haus zwischen Berlin Mitte und Kreuzberg zu lesen. Walter Ulbricht hat die Mauer 1961 errichten lassen, damit die Leute im Osten nicht für Westgeld, sondern hier schön für einen Appel und ein Ei schindern gehen. An dieser Grenze stirbt heute niemand mehr. Tote gibt es nur noch an den Außengrenzen der Festung Europa, auch ohne Schießbefehl. Gluck, gluck.
Die meisten Leute, die ich kenne, schindern heute wieder oder noch immer für einen Appel und ein Ei. Die, die das nicht machen, lassen sich nicht mehr im Speckgürtel, sondern mitten in der Stadt teure Townhäuser errichten und verschanzen sich in "Gated Communities", geschlossenen Wohnanlagen, in denen sie ihren Reichtum geschützt zur Schau tragen können, genau wie sich damals Ulbricht, Honnecker und das ganze ZK der SED in ihrer Waldsiedlung Wandlitz verschanzt haben.

"Nobelhundehütten - wau wow"

So entstehen heute entstehen nicht nur in der Berliner Innenstadt, sondern überall auf der Welt zahllose kleine Berliner Mauern. Die nennen sich nicht antifaschistischer Schutzwall, sondern Arcadia-Wohnanlage, Prenzlauer Gärten oder Central Park Residence. Ist es nicht eine absurde Entwicklung, dass sich solche Leute aus Angst vorm Pöbel, der jetzt Prekariat heisst, selbst in Luxus-Lagern internieren? Die müssen Strafe zahlen, wenn sie ihre Wohnungstüren in anderen Farben anstreichen oder den Garten nicht normgerecht pflegen - wie im Knast. Da dreht sich mir echt der Magen um. Deshalb habe ich dem Thema "Nobelhundezwinger" ein Liedchen gewidmet. Es nennt sich "Stacheldrahtzaun". Ich habe es neulich bei DJ V.Raeter aufgenommen und einen, so hoffe ich, gelungenen Gegenentwurf zu "American Boy" von Kanye West und Estelle geschaffen.

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Text zum Mitlesen hier

6 Kommentare:

Jenz Steiner hat gesagt…

Hier der Text:
Neulich spazierte ich mit meiner Freundin durch die Stadt. Plötzlich standen wir vor einer großen Baustelle. Reihenhaus-Rohbauten so weit das Auge reicht. Ein großes Schild warb für paradiesisches Wohnen mitten in der Stadt.
Ich sagte zur ihr:

Komm wir klettern übern Stacheldrahtzaun, nicht um was zu klauen, nur um die Gegend anzuschauen!
Ich will nur wissen, was sie hier hinbauen?
Raum für Raum in beige und braun.
Ich hoffe, die haben hier kein Hund, denn ich hab keinen Bock zu botten über matschigen Grund.
Die haben hier nicht mal einen Wachschutz, doch jemanden, der ihnen das Dach putzt.

Refrain:
Kannst Du Dir denn vorstellen, in so einem Teil zu wohnen. Das Minimum Wohneigentum kostet zwei Millionen. Das Leben ist edel, doch trist und grau, hinter so 'nem Stacheldrahtzaun.

Ich sag: Hey weeste, denk doch mal an die Kleensten! Die Alten sind beschrubbt, doch all die Kinder tun mir Leid. Wie will man hier denn spielen, ohne sich begafft zu fühlen. Der Spielplatz ist so glatt und kühl, steril wie in der Klinik.
Ich wäre hier längst schon durchgedreht.
Guck wie klein die Fenster sind! Was willst Du da groß sehen?
Carports, Gartenteiche für lebendige Leichen hinter diesem Stacheldrahtzaun.

Kannst Du Dir denn vorstellen, in so einem Teil zu wohnen. Das Minimum Wohneigentum kostet zwei Millionen. Das Leben ist edel, doch trist und grau, hinter so 'nem Stacheldrahtzaun.

Kannst Du Dir vorstellen hier zu wohnen? Nein, nein, nein, nein, nein, nein. Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nicht hinter so einem Stacheldrahtzaun.

Auf Granit- und Mamorböden gedeiht noch längst kein Glück. Ein Autolift bringt Dich nicht höher, nicht mal ein kleines Stück. Das Glück liegt in uns selber, nicht in irgendwelchen Dingen. Die Leute, die da einziehen, können das leider nicht verstehen. Im Studium wird das nicht gelehrt. Die Elite macht Rendite. Alles Andere ist nichts wert. Man hat Kontakte, doch keine Freunde - hinter so einem Stacheldrahtzaun.

Kannst Du Dir denn vorstellen, in so einem Teil zu wohnen. Das Minimum Wohneigentum kostet zwei Millionen. Das Leben ist edel, doch trist und grau, hinter so 'nem Stacheldrahtzaun.
Wer bitte braucht denn ein Townhaus? Gebt das Geld lieber einem Frauenhaus, denn irgendwie müssen die das Ding ja finanzieren.
Womit die die Stadt jetzt zubauen bauen, ist der reinste Albtraum Traum,
das tut ja schon weh, au, au. Nobelhundehütten, wau, wau.
Zementmischer, Baugruben und Kräne realisieren Bauherrenpläne.
Kleingeister, Baumeister, Verandablick aufs Meer, vor der Türe gleich den Reichstag. Die Investoren haben das hier auserkoren als ihren eigenen Boden, Stadtplaner haben verloren.
Ah, für einen Arzt oder Anwalt lohnt sich dieses teure Angebot.
Doch die haben Angst vor Feuerlegern, Mucke, Lärm, Gestank und Punks und Schlägern.
Ruhig wohnen im Zentrum der Stadt, die vor lauter solcher Bauten kein Zentrum mehr hat.
Alles dreht sich nur ums Ge-e-eld.
Hauptsache verbeamtet oder angestellt.
Was ist an einer Stadt noch interessant, wenn man hier lebt wie auf dem Land? Piefig, miefig, langweilig und trist: meine Ästhetik trifft das nicht. Ich wünsche mir eine lustige Stadt, die Platz für bunte Hunde hat
und nicht ganz so viel Stacheldraht, ich kann mich noch entsinnen.
Das hatten wir grad.

Ich kann mir nicht vorstellen, in so einem Teil zu wohnen.
Ich brauche nur ein paar Kröten, keine zwei Millionen.
Mein Leben ist dufte und richtig schau, ohne so einen Stacheldrahtzaun.

Richie Famous TM Berlin hat gesagt…

An der Wand steht: Die Grenze verläuft nicht zwischen oben und unten, sonder zischen Dir und mir!

at - ze aus Weißsnee hat gesagt…

Auf der Köpi stand ursprünglich der Slogan „Die Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten!“ das war ungefähr bis zum Jahr 2006 oder 2006.
Hier ein Bild aus dieser Zeit: http://squat.net/images/koepi.jpg

Dann kam irgendein Irrer auf die Idee neben der Köpi, die ja eigentlich für laute Partys usw. bekannt ist ein, ein Altersheim zu bauen. Eigentlich nicht der Ort um in aller Ruhe seinen Lebensabend zu verbringen, es sei denn die Bewohnerinnen haben in den 80ern bei den Startbahn-West-Protesten Cops mit Zwillen beschossen oder in Westberlin Republikaner-Parteitage gesprengt (richtig oldshool, mit Bomberjacke, PLO-Tuch und hautengen Jenas, die den Hoden abschnüren). Im Zuge der Bauarbeiten wurde dann die Häuserwand zugebaut, wo der Spruch dran war: http://www.abrissberlin.de/pics/koepi.jpg
Der Investor hat sich verspekuliert und seit dem ist an der Stelle ne große Bauruine. Leute haben dann an das Altersheim-Skelett den Spruch geschrieben „Hier ging ein Investor pleite. Nebenan da folgt der zweite!“

An einem Haus auf der anderen Seite der Straßenkreuzung an der Köpenickerstraße (Nähe Bethaniendamm) haben dann Leute über drei Monate zeitversetzt den Spruch „Die Grenze verläuft nicht zwischen oben und unten, sonder zischen Dir und mir!“ rangemalt:
http://www.fensterzumhof.eu/wp-content/uploads/2008/07/_dsc0112.jpg
http://www.fensterzumhof.eu/wp-content/uploads/2008/08/080801_grenzen_ho.jpg
Anfang 2009 oder Ende 2008 war das gute Stück dann fertig: http://richardschwarz.com/img/data/490x1000/19384ede7812e5e451da3980c60e6e48.jpg

Der spruch entspricht so ein bisschen dem linken Neusprech und der absoluten Selbstreflektion. Manchmal, fast schon esotherisch, werden sich in der linken heilen Welt ein „oben und untern“ und handfeste Klassenverhältnisse (heute wird das im FELS-Studi-Spiegel-TV-Sprech „Prekariat“ genannt) weggelogen.
Grenzen verlaufen ja überall, das ist klar. Zwischen mir und meiner Freundin z.B. oder zwischen mir und meinen Kumpels usw. Das ist aber oft was anderes… Zwischen mir und meinem Vorgesetzten läuft ne ganz andere Grenze. Die hat nichst mit persönlichem Kram zu tun sondern ist ganz klar Materiell.
Ich habe keine Beziehugsprobleme mit Ackermann, die Grenze ist hier ein ganz klarer Arm/reich, alsoe ein „oben/unten“ Konflikt. Mir ist zwar klar, das man das alles nicht so vereinfachen kann, gerade weil jeder ja seine eigenen Ausbeutung (täglich knuffen gehen usw) mitträgt aber was passiert wenn niemand mehr polarisiert? Wir leben in einer Welt der Beliebigkeiten.
Wir feiern auf Elektro-Partys mit Leuten, die in zwei Jahren unsere Chefs sind oder machen als Fahradkurier die Dienstboten Gänge für sie. Und an dieser Stelle krieg ich wieder den Bogen… Schön das Steiner ab und zu polarisiert, auf die Steiner Art halt. Nicht zu plakativ, etwas verspielt, lustig und unterschwellig manchmal ein bisschen böse. Sehr schön Herr Steiner. Ohne sie wäre die Welt noch mehr mit Beliebigkeiten voll gestopft. Und das wäre ja schade…

Und weil mein Herz ja irgenwo in Nordost-Berlin hängen geblieben ist, hab ich hier mal die Soli-Aktionen zusammengetragen, die in P-Berg, Weißensee, Mitte usw. gelaufen sind. Viel Spass damit:

P-Berg, Mauerpark:
http://nea.antifa.de/bilder/lokales/fotos_koepi_mpark07.jpg
http://nea.antifa.de/lokales/koepipberg.html

Weißensee:
http://nea.antifa.de/bilder/lokales/fotos_koepi_weissensee01.jpg
http://nea.antifa.de/lokales/koepiwsee.html

Mitte, Brunnenstraße:
http://taz.de/blogs/wp-inst/wp-content/blogs.dir/50/files/2008/02/Koepi_bleibt.JPG

Hohenschönhausen / Weißensee:
http://media.de.indymedia.org/images/2007/08/190352.jpg

und hier noch mal die Geschichte des guten alten Hauses:
http://www.koepi137.net/koepi.htm

Zeal hat gesagt…

ihr solltet alle mal nach frankfurt ziehen ;-)

Jenz Steiner hat gesagt…

Frankfurt an der Oder oder Frankfurt am Main?
Was gibt es denn da Schönes?

Zeal hat gesagt…

na. am main ist das von euch kritisierte allgemein beliebter dauerzustand. ein grenzenloses mitte-pberg-f'hain gewusel ;-)