Ende 1991 wehte durch Friedrichshain immer noch ein revolutionäres Lüftchen. Die Kämpfe um die Mainzer Straße hatten ein Jahr zuvor gezeigt, dass hier die Leute anders tickten und sich nicht alles gefallen ließen. Jenz Steiner und sein Kumpel Richie schnupperten nun in besetzten Häusern herum, auf der Suche nach ihrer ersten großen HipHop-Party. Davon handelt die inzwischen elfte Weihnachtskalendergeschichte auf GTDK.
Friedrichshain: Mainzer Straße im Sommer der Anarchie, Juni 1990
Zur Buß- und Bettnacht 1991, damals noch ein Feiertag in Berlin, schlichen Richie und ich uns heimlich raus und machten uns auf nach Friedrichshain. Langenfeld hatte in der Yo-Show auf Jugendradio DT64 angekündigt, dass er in der Jessener Straße 41 in einem besetzten Haus auflegen würde. Heute kennt man die Adresse als Supamolly. Da mussten wir hin. Richie hatte seine roten Pash-Hosen und eine Redskins-Jacke an, ich hellblaue No-Name-Jeans, die olle Försterkutte meines Onkels und einen schwarzen Pulli. Erst trauten wir uns nicht rein. Gegenüber, am Traveplatz, schön im Dunkeln, übte Richie peinliche Tanzschritte und sang dazu „You down with OPP, yeah you know me“. Nach einer Weile gingen wir doch rein. Tür auf: Eine Punkerkneipe. Hunde, meterhohe blonde Iros, Nieten, gebleachte Jeansjacken, Aufnäher, Qualm, Lärm, Bierpullen und Gebell. Ich fragte den Mann hinter der Bar: „Entschuldigen Sie bitte, wo geht es hier zur HipHop-Party?. Er lachte. Ich glaube, er lachte uns aus, zeigte auf einen schwarzen Vorhang und meinte: „Hinten übern Hof!“. Aha, in besetzten Häusern sind Türen aus Vorhängen. Die Erfahrung sollte ich in meinem späteren Leben noch öfter machen.
Friedrichshain in history: Schön mit 1990er Rap-Mucke unterlegt - ein Bagger hebt Straßengräben für Barrikaden in der Mainzer Straße aus.
Wir balancierten im Dunkeln über Bretter, die uns trockenen Fußes durch die Modderpampe zum nächsten Vorhang führten. Vertraute Rhythmen. Hier lief wirklich Naughty by Nature. Hier waren wir richtig. Leute in dicken Jacken standen rum. Einer in besonders dicker Jacke und noch dickeren Turnschuhen fiel mir auf. Das war MC Poise von A Real Dope Thing (Ex Downtown Lyrics). Aber das konnte ich da noch nicht wissen? Wer war nur Langenfeld? Passiert hier noch was? Wir konnten damals ja auch nicht ahnen, dass das Rumstehen ja schon die Party war. Wir hatten ja keinen Plan von HipHop. Bei den Punkern war mehr los, aber deren Musik war scheiße. Also standen wir bei den Rappern rum und hörten Slick Rick und Public Enemy und Chubb Rock und Ice Cube und NWA und Big Daddy Kane und Biz Markie. Dann gingen wir wieder.
Als noch auf der Straße diskutiert wurde: Heiße Debatte zwischen einem Pro-Hausbesetzer-Ur-Berliner und einem konservativen Spießbürger auf den Straßen von Friedrichshain. Das Videomaterial stammt aus einer Doku des Kollektivs Mainzer Straßen aus dem Jahr 1991. Auch wenn sich mir bei den Kommentaren der Macher manchmal ganz schön die Nackenhaare aufstellen, spiegelt der Film den damaligen Zeitgeist wider.
Vor der Tür kam uns eine Horde Jugendlicher entgegen, denen man schon von weiten ansah, dass sie aus dem Westen kamen. Typen mit schwarzen Löckchen im Nacken, Goldkettchen, LA Raiders Football Jacken und weißen Jeans, Tussies mit riesigen Ohrringen, krass geschminkt mit aufwändigen Frisuren und Handtaschen. Wenn in unserer Klasse jemand so rumgerannt wäre … . Ein schmächtiger Junge mit dicker Brille in silberner Kassenfassung, kurzen blonden und leicht gegelten Haaren fragte uns höflich: „Entschuldigung, wisst Ihr, wo es hier eine Rap-Party geben soll?“ Morgen erzähle ich, wie ich erfuhr, dass der schüchterne Herr mit der brüchig-knarrenden Stimme und der großen Posse hinter sich MC Miss One war, der etliche Jahre später als DJ Tommek bekannt werden sollte.
Freitag, 11. Dezember 2009
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