Mittwoch, 9. Dezember 2009

Neuntes Türchen

Spaßaktion oder Akt der Resignation und Verzweiflung? Die Grenzen sind fließend in Jenz Steiners neunter Weihnachtsgeschichte. Heute erzählt er, wie er sich mit einem Freund Mitte der Neunziger aktiv gegen die Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes einsetzte.













Bilder, die an die Hinrichtung Ceausescus in Rumänien 1989 erinnern: Der symbolische Sturz des Kommerzweihnachtsregimes am Arnswalder Platz mit Stierbrunnen 1996. Der grüne Haufen im Vordergrund war mal eine stattliche städtische Tanne. Dank an Herrn Wendt fürs Scannen!


Ritsche ratsche, ritsche ratsche, in die Brücke eine Lücke. Dieser Streich von Max und Moritz gefiel mir als Kind besonders gut. Wilhelm Buschs Lausbuben von damals würden heute als Terroristen gejagt werden, wenn sie sich an irgendwelchen Brücken vergreifen würden. Niko und ich wollten mit unserer Aktion eigentlich nur ein Zeichen gegen den weihnachtlichen Konsumterror setzen – mit einem symbolischen Gegenschlag, gleich vor der eigenen Haustür. Ganz doll ernst meinten wir das nicht.

Er brachte am Heiligen Abend einen Fuchsschwanz und eine Metallsäge mit. In unserem Keller, dem ehemaligen Luftschutzraum des Mietshauses, lagerte eine große Holzsäge. Die war besser. Die war so groß, dass man sie nur zu zweit damit sägen konnte. Unser Opfer stand schon fest: Der öffentliche Weihnachtsbaum auf dem Arnswalder Platz, gleich am Fuße des Stierbrunnens. Ein prachtvolles Tannenbäumchen, geschmückt mit dicken Licherketten und mit drei Stahlseilen fixiert, als hätte das Grünflächenamt schon mit uns gerechnet.

Los ging's. Harzgeruch, Nadeln pieksten durch die Handschuhe. Zweige peitschen uns ins Gesicht. Der Baum wollte nicht, dabei wurde er doch eh schon gefällt und hier nur künstlich aufgestellt. Das Sägen war eine Schinderei, doch für eine große Sache muss man auch große Opfer bringen. Wir waren völlig durchgeschwitzt. Nach einer dreiviertel Stunde ging ein Krachen durch die Stille Nacht am Arnswalder Platz und wurde von vier Seiten, von den schwarzgrauen Häusern in der Bötzow, Danziger, Pasteur und Hans-Otto-Straße zu uns zurück geworfen. Die Lichterketten lagen erloschen am Boden. Fenster gingen auf. Dunkle Silhouetten mit Kerzenschein im Hintergrund starrten auf den Platz. Wir rannten, stolperten, rannten weiter. Weihnachten war gestorben.

Fortsetzung folgt...

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