Freitag, 18. Dezember 2009

Achtzehntes Türchen

Als knisternd anheimelndes Großstadtmärchen kommt die Fortsetzung von Jenz Steiners 17. Weihnachtskalendergeschichte daher. Die Story ist nicht nur schöner, sie ist auch länger als ihre Vorgängerinnen, doch da die Tage immer kürzer werden und die Menschen vor Weihnachten mehr Zeit haben, sollte das kein Problem sein. Viel Spaß mit Jenz und Nora allein zuhaus.













Look Kaon Bombing, Greifswalder Straße, Ecke Chodowieckistr, Prenzlauer Berg in den Neunzigern


Mit kalten Wangen und roter Nase stand ich nun in meinen Matschehosen vor Noras Wohnungstür, Käthe-Niederkirchner-Straße, Hinterhaus, dritte Etage. Ein paar Schneeflocken tauten auf meiner grünen Wollmütze. „Hi, ich bin MC Rumpelstiel und gerade im Erdboden versunken“, sagte ich als sie aufmachte. Nora beugte sich leicht nach hinten, nahm die Hände vor den Mund und lachte los. „Wie siehst Du'n aus? Hihihi. Du Armer, komm rein und zieh die olle Hose aus! … Oder schämste Dich?“, „Äh..., okay...“. Nur ein Gedanke beschäftigte mich:„Hoffentlich habe ich nicht den bekloppten Kaufland-Schlüpper mit dem „I'm the boss – sometimes“-Aufdruck an, den mir meine Mutter mal geschenkt hat.“

Noras grüner Pulli mit Dreieckskragen lehnte mit verschränkten Armen am Türrahmen zum Bad, als ich mir die dreckige Jeans abstreifte. „Naja, kann sich doch sehen lassen“, sagte ihre sanfte Stimme. „Von mir aus kannste so bleiben, oder willstn Rock von mir?“ Der Humor gefiel mir. Jetzt verschwand sie mit der Hose im Bad, schrubbte den märkischen Oderschlamm ab und flüsterte laut: „Heute back ich, morgen brau ich, übermorgen mach ich der Königin ein Kind“. Jetzt musste ich lachen. Sie warf die Hose über die Heizung und mir eine schwarze Jeans zu. „Hier, von meinem Ex. Müsste Dir passen.“ Trockene Wollsocken gab es frei Haus dazu.

Nora kramte ihre Lieblingskassette vor, steckte sie in ihre Mädchenanlage und schon saßen wir bei Früchtetee und Kerzenlicht in ihrer Küche, mampften ihre Plätzchen-Kreationen und ließen das Jahr Revue passieren. Sie steuerte die Themen gerne in verfängliche Richtungen. Was man so träumt, wen man schon alles geknutscht hat ...

Die A-Seite der Kassette war voll mit Björk, Portishead und Massive Attac, auf der B-Seite erst Cypress Hill von 91, dann Jungle: „Mutant Jazz“ von T Power vs. MK Ultra. Ich machte ein mentales Foto von ihren grünen Funkelaugen und ihrem kastanienbraunen, halblangen Haar, das sich so sanft um ihr Gesicht legte. Unvergesslich! Als sie mal wieder schnell im Bad verschwand, guckte ich durch ihr CD-Regal. Rage against the Maschine, Miles Davis, Fugees, Feeling B, The Pharcyde, The Doors, Bob Marley, City und Public Enemy. Geil, voll der Prenzlauer-Berg-Mädchen-Soundtrack.

„Wollen wir noch eine Runde spazieren gehen?“, fragte sie. „Klar!“ Ich schlüpfte in die nassen Botten und schon ging's los. Sie hakelte sich ein. Wir guckten Tags: Broa, Muel, Disne, Look, ESC, Sober, Corinth, Optik, Karoy, Drama, Gizmo, Kaon, Pamir, Trick 17. Hunderte chinesische Weihnachtssterne in den Fenstern ließen die Bötzowstraße blinkern. Das Kino war dicht. Der zugefrorene Ententeich, der Indianerspielplatz - alles weiß, rodelnde Kinder, Schneeballschlachten – so weihnachtlich hatte ich den Friedrichshain ewig nicht erlebt. Auf dem kleinen Bunkerberg bauten wir einen Schneemann. Den Ast für die Nase platzierte sie frech in der Hüftregion. Dann bekam der Arme noch drei unterschiedlich große Brüste von ihr.



„Ich male auch ein bisschen“, sagte sie kleinlaut. „Echt?“. Eine halbe Stunde später saßen wir auf ihrem Bett und guckten durch ihr Blackbook. „Das ist in Hönow im Yard. Da haben wir einen Wholecar gemacht.“ „Das ist... ähm?“, „Grünau, das sehe ich doch gleich.“, „Genau.“ Themenwechsel. Sie zog den Teddy als Kissen unter ihren Kopf und legte „Midnight in a perfect world“ von DJ Shadow ein.

„Wie ist das mit Deiner Hose eigentlich wirklich passiert?“ Ich erzählte die ganze Geschichte, jede Szene. Wir lachten los, konnten uns nicht mehr halten, krümmten uns, rollten von einer Seite auf die andere. Unter uns quietschte die Matratze und wir lachten noch lauter, keuchten, röhrten und schnappten nach Luft. Das flackernde Kerzenlicht ließ die Schatten ihrer Beine an der Raufasertapete strampeln. Plötzlich hörte Nora auf. So abrupt, dass es mich verunsicherte. Zwei schmale Augen blinzelten mich an: „Du schöner, schöner Mann, Du!“ Nora rückte näher und küsste mich. Ein teuflisch-zartes Stimmchen flüsterte in MC Rumpelstils Ohr: „Wow, das kannst Du also auch“.

2 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Warum kommentiert eigentlich niemand diese Geschichten?Die beste Weihnachts"märchen" die ich kenne, danke Herr Steiner!

Anonym hat gesagt…

ich find's auch überdope...lese es immer wieder gerne...