Sonntag, 5. Dezember 2010

Andys Weihnachtstagebuch - Seite 5: Yksi, kaksi, kolme

Sonntag, 05. Dezember 1999

Ich bin noch voll im Eimer. Dafür kann ich jetzt auf Finnisch zählen. Yksi, kaksi, kolme, neljä, viisi. Tim und Laura sind schuld. Die haben mich zu einer Party in der Linien- Ecke Gormannstraße in einer ehemaligen Behindertenwerkstatt mitgeschleppt. Tim hat vorsorglich sein Micro mitgenommen. Der Laden war voll, 200 Leute oder so. Alle waren da, ganz P-Berg, Chefhain und Mitte.


Andy Waffen und Timinator XXX - Willkommen uffm Helmi

Aus Will Smiths "Welcome to Miami" machten Andy und Tim bei einer Freestyle-Session "Willkommen auf'm Helmi und beeindruckten damit nicht nur die Gäste aus Prenzlauer Berg, sondern auch charmante junge Damen aus dem Norden Europas.

Die Gastgeber kenne ich nicht, aber die haben sich ganz schön ins Zeug gelegt. Jeder Raum hatte ein eigenes Thema. Meeresrauschen im ersten Zimmer. Der Boden war voller Sand, Muscheln, Buddelschippen und Plasteförmchen. Der aufblasbaren Insel mit Palme ging leider schnell die Luft aus. Die hatten einen echten Strandkorb rangeschleppt. Nur reinsetzen konnte man sich nicht, weil da drinne schon ein Dreadlock-Typ und ein Hippie-Mädchen aus meiner alten Schule am Rummachen waren.

Durch eine alte Doppelflügeltür traten mit mir bestimmt 30 P-Berger vom Sand auf Kunstrasen und standen plötzlich in den Bergen. Zwei Dia-Projektoren warfen die Alpen an die Wände. Frisch gewaschene Hemden und Kissenbezüge trockneten auf einer Wäscheleine, die quer durchs Zimmer gespannt war. Die Strohballen-Sofas hoch oben auf der Alm waren alle besetzt. Aus kleinen Boxen kam Vogelgezwitscher und Kuhgemuhe. Gibt es das Wort überhaupt?

Der Flur wurde zur U-Bahn-Disko umgebaut, mit echten U-Bahnsitzen. Alle standen mit Markern an den Wänden. Der häufigste Satz des Abends: "Täg mal für mich mit!" Am Ende des Gangs drehten sich zwei Plattenspieler, dahinter wackelte mein Kumpel Eddie rum - mit seinen dicken RFT-Kopfhörern mit Ringelkabeln wie am Telefon. Wir stöpselten Tims Mic ein und freestylten auf das Instrumental von Will Smiths „Welcome to Miami“. Aus dem Refrain machten wir kurzerhand „Willkommen uff'm Helmi, wo die Biere immer zischen, rülps“. Damit haben wir echt den Vogel abgeschossen. Alles gröhlte.

Ich war noch voll durchgeschwitzt und aufgedreht, da kam ein Mädel aus Finnland auf mich zu. Ilona (mit Betonung auf dem i) beeindruckte mich mit ihrem süßen Akzent und so einem ärmellosen Top mit Dreieckskragen aus blauer Wolle. Darunter trug sie ein schwarzes langärmliges Shirt. Wir haben uns extrem schnell und gut verstanden und ich starrte permanent auf diese bunte Feder in ihren kurzen schwarzen Haaren. Die sah so 20er Jahre aus.

Sie hat mir die finnischen Zahlen beigebracht und so wichtige Sätze wie: „Olen töissä tehtaalla.“ - „Ich arbeite in der Fabrik.“ Am coolsten fand ich „Asun Berliinissä.“ - „Ich wohne in Berlin.“ und „Suklaajäätelöä“ - Schokoeis. Den Rest habe ich schon vergessen.

Ich hatte gerade angefangen, ihren stilvollen Ohrschmuck zu loben und an ihren Ohrläppchen rumzuspielen, schon stand Laura vor mir, die Stirn in Falten, den Kiefer verzogen, ihre kleinen Fäuste in die Seiten gepresst. Jetzt donnerte sie los: „Kannste mir mal verraten, wat dit wird, wenn's fertich is?“ Die Musik um mich herum war kurz wie ausgeblendet. Ich wusste keine Antwort und verstand die Welt nicht mehr. Laura trampelte weg.

„Ist das Deine Freundin?“, fragte Ilona etwas verunsichert - mit der Betonung auf Deine. „Äh, nee, pffff... also von meinem Kumpel, ick mein, naja, sie ist nur meine Freundin, also eigentlich seine Freundin, also nicht so wie Du jetzt denkst.“ Ich stockte und fühlte mich bescheuert. Fünf Meter hinter ihr befummelten sich nun Tim und Laura auf den U-Bahnsitzen und knutschten so wild wie nie. „Ich besorge mir Trinken“ sagte meine finnische Traumfrau und war weg.

Mein Weihnachtskalender hielt heute eine finnische Tanne für mich bereit. Jetzt ist mir schlecht.


Was bisher geschah:
Einleitung
Seiten 1,2,3,4,5

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