Mittwoch, 8. Dezember 2010

Andys Weihnachtstagebuch - 8. Seite: Dias aus der Sonnenallee

Mittwoch, 08. Dezember 1999

Ein Glück, dass wir nicht ins Kino gegangen sind! Laura hat Tim und mich vorhin gefragt, ob wir uns mit ihr im Colosseum „Sonnenallee“ ansehen wollen. Wir haben beide kategorisch abgelehnt. Ich hasse diese deutschen Filme. Das ist doch alles Geschichtsverfälschung, außerdem waren wir heute schon in der Sonnenallee. Von dort sind wir direkt zu ihr ins Göhrener Ei gefahren, haben den Kühlschrank leer gefressen und uns im Bayrischen Fernsehen den Mitschnitt eines Knorkator-Konzerts und unsere neuen Dia-Schätze bewundert. Ihr Vater hat nämlich noch einen Projektor. Wir haben dadurch ganz gute Ideen für unsere eigene Show nächste Woche bekommen. Mal sehen, was sich davon umsetzen lässt.


Darstellende Künste aus Berlin. Die Berliner Band "Knorkator" ist für Andy Waffen und Timinator XXX musikalisches Vorbild. Hier der Mitschnitt des bayrischen Rundfunks vom Taubertal-Festival 1999, den sie sich bei und mit Laura angesehen haben, bevor sie ihre Schatzkisten öffneten.


Also - die Vorgeschichte: Der Tag lief echt super, obwohl das Wetter beschissen und es um vier schon fast dunkel ist. Gegen vier war ich mit Tim in Friedrichshain. Auf der Warschauer Brücke haben wir die neue Zitty gekauft. Der Verkäufer war voll der Brummbär. Egal, auf jeden Fall haben wir im Heft eine lustige Kleinanzeige gefunden: „Verschenke private Dia-Sammlung“. Eine Neuköllner Nummer. Wir haben gleich angerufen und sind direkt hingelaufen, um uns den Kram abzuholen.

Wir hatten ja keine Ahnung, was uns erwartet. Ein Seitenflügel in der Sonnenallee Ecke Tellstraße, tiefstes Neukölln. Der Typ war ein krasser Foto-Equipment-Messie und sah aus wie John Lennon, wenn er noch leben würde. Ist heut nicht dessen Todestag? In der muffigen Bruchbude stapelten sich Stative, Kameras, Fotopapier, Entwickler-Salze, Fixierer und Belichtungsuhren. Olle John knallte mir die Dia-Kassetten in den Rucksack und packte uns dann noch zwei Bolle-Tüten voll.

Das Dia-Geheimnis lüfterte sich am Abend auf Lauras Kinderzimmerwand. Das war besser als ein Film. Das war die Lebensgeschichte eines krassen Spießers aus Österreich. Die ersten Dias stammten aus den späten Fünfzigern. Baby-Fotos, Einschulung, später irgendwelche Kindergeburtstage, Dampferfahrten, Wandertage, diese kirchliche Jugendweihe, die das Türschild an der ersten Wohnung, Hochzeitsfotos, Betriebsausflüge.

Wir wussten plötzlich alles über diesen Mann. Gefesselt haben uns die Fotos seines Berlin-Besuchs in den Siebzigern. Er hat das Brachland rings um den Potsdamer Platz fotografiert. Das war echt wie Eintauchen in eine andere Welt, in ein anderes Leben. Wir werden noch eine Weile brauchen, um alle einzeln anzusehen. Eigentlich gehört sowas ins Museum.

Tim ist irgendwann eingepennt. Kein Wunder! Laura saß in der Mitte und hat ihm den Kopf gekrault. Erst ihm, dann mir. Ich war plötzlich total verkrampft. Ich soll mich mal locker machen, meinte sie. Ich konnte nicht. Gegen zehn bin ich dann abgehauen.

Einleitung
Seiten 1,2,3,4,5,6,7

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