Jahresrückblicke können die Anderen besser. Deswegen war das Funkhaus Prenzlauer Berg gestern wieder eine Sendung voller Radiopremieren. Die komplette Sendung (200 MB) kannst Du hier runterladen. Zu Gast im Studio waren der Ecoluddit und Hannes Krause. Diesmal fungierte die Show als feuilletonistischer Kontrapunkt zum technik- und netzpolitiklastigen Programm des 27c3-Kongressradios des Chaos Computer Clubs. Der trifft sich gerade in der bcc-Kongresshalle am Berliner Alexanderplatz.
Hannes Krause hat eindrucksvoll gezeigt, wie man als Fußball-Freestyler seinen eigenen Körper hackt. Der Ecoluddit hat erzählt, wie er als nicht kommerzieller Szene-Podcaster seinen Brückenschlag zwischen Netz- und HipHop-Welt meistert. Eine Folge seines Interview-Audio-Blogs wurde kurz angespielt: Das Interview mit Gordon von Project Mooncircle.
Hier die Playlist zur Sendung:
Drumkid – Nitro
Sichtbeton – Steh auf
Audio 88 und Sir Serch - Lego Ego
Doctor Do – Winter in W-Tal
HipHopist – Interview mit Gordon von Project Mooncircle
El-P – Lab Rat Bravely Escapes on Hovercraft Only to Crash directly Outside of
Gates
Illoyal - Für wen ich singe, Leverkusen on Ice.
Illoyal – draußen ist feindlich
Illoyal – Heart
Melinee – Wir sind nichts
Doctor Do – Kalte Tage
Der Ecoluddit – Macheten Remix Hiob und Morlock Dilemma feat. Ruffkid
Kid Shit – Letz go
Low End Theory – Jonwayne
DJ Scientist – One Year and a day
DJ V.Raeter - Ohne Titel feat. Hey! Zeus
Clear Blue – for Eddie
DemocracyStarhaven – jullllzzeedd by DZA
Der Ecoluddit, Betrieber von hiphopist.de, kommt heute zu Jenz Steiner ins Funkhaus Prenzlauer Berg. Und er kommt nicht allein. Mit dabei Soccer Freestyler Hannes Krause. Die Sendung läuft heute im Rahmen des Kongressradios zum 27. Kongress des Chaos Computer Clubs in der Kongresshalle am Alexanderplatz.
22.30 bis Mitternacht auf Pi-radio 88,4 MHz in Berlin und Brandenburg - Funkhaus Prenzlauer Berg mit Ureinwohner Jenz Steiner.
Mit Suffy, Dex und Vreezy ein schönes GTDK-Aufgebot. Der ein oder andere kommt hoffentlich zum Zujubeln. Für mehr Infos (Samples, Paarungen usw.) Klick-auf-den-Flyer. Dude.
Ach ja, sind wir nicht alle herrliche Selbstbeweihräucherer? Meine Russenkumpels sind es auch. Hier geben sie einen kleinen Einblick in ihre Kassetten-, CD- und DVD-Sammlung mit ihren eigenen Veröffentlichungen der letzten 14 Jahre.
So einen bewegenden Heiligen Abend hatte ich noch nie. Ich habe mir von meinen Eltern den dunkelblauen Citroen ausgeborgt, den sie nach der Wende aus dem Politbüro-Fuhrpark in der Straßburger Straße gekauft hatten, bevor der zur einem Taxi-Unternehmen und einer Werkstatt umfunktioniert wurde. Ich sollte mit der Bonzenkarre zur Autowäsche fahren und nochmal volltanken, ein letztes Mal dieses Jahr. Die Tankstelle am Friedrichshain hatte den Benzinpreis zu Weihnachten von 1,51 auf 1,54 D-Mark hochgesetzt, die in der Prenzlauer Allee sogar auf 1,55. Schade ums Geld. Ich holte Laura ab und setzte sie ins Auto. „Darf ich fahren?“, war ihre erste Frage. „Äh, nee, naja, später vielleicht, aber eigentlich nicht.“, war meine nicht ganz eindeutige Antwort. Ich erzählte ihr, wie meine Eltern zu der Karre gekommen waren, als wir an der Straßburger vorbeifuhren.
Soviel steht fest: Andy, Tim and Laura will not return. Aber sicher freuen sie sich, dass Du elf Jahre später einen kleinen Blick in ihr Leben voller kleiner und großer Höhen und Tiefen geworfen hast, fast über einen Monat hinweg. Tim lebt noch immer in Düsseldorf und arbeitet dort als Sound-Designer für eine Werbeagentur. Nach Berlin kommt er nur noch ganz selten. Andy und Laura sind nach zwischenzeitlicher Trennung wieder zusammen und nicht mehr nur als Zweiergespann. Laura war zwei Jahre in Mexiko und ein Jahr in Rumänien, um dort irgendwelche Selbsthilfeprojekte aufzuziehen. Andy hat es für vier Semester nach Kiew an die Ukrainische staatliche Filmhochschule verschlagen. Seine Kassettensammlung hält er noch immer in Ehren und baut seinen Bestand kontinuierlich aus.
Sie lachte. „Meinst Du, Egon Krenz hat schon hier auf meinem Beifahrersitz gesessen?“ „Krenz vielleicht nicht, aber Hermann Axen oder Günther Schabowski oder ...“ Ich war beeindruckt, dass ich fast noch das ganze Politbüro des ZK der SED auswendig kannte. Sie auch. „Wieso weißt Du immer so einen Scheiß? Was Du Dir immer für ulkige Sachen merkst.“ „Dafür bin ich scheiße in Mathe“. „Echt? Zwei mal sechs?“ „Äh, 12?“ „Mmh, richtig, und sechs mal zwei?“ „Pffff …“ - lange Pause - Wir lachten und standen schon vor der Autowaschanlage am S-Bahnhof Jannowitzbrücke. Zwei Blaumänner in gelben Gummistiefeln und mit braunen Schnurrbärten seiften das Auto ein. „Sexy!“ meinte Laura. Ein brummiger Vollbart kassierte ab. „Zwölf fuffzig macht dit. Danke. Antenne rein, Motor aus, Radio aus, Gang raus, Spiegel einklappen!“, brüllte er. Die kleine Ampel schaltete auf grün. Ein Förderband zog das Auto unter einen breiten Wasserstrahl, der nicht nur das Auto zittern ließ.
Laura berührte meinen Arm. Ich zog ihn zurück. Warum war ich in diesem Augenblick so schüchtern und verängstigt? „Denkst Du, ich merke das nicht?“, fragte sie mich? „Was?“ „Na was wohl?“ Nasse Stofflappen peitschten gegen die Karosserie und Lauras Handschuh peitschte gleichzeitig gegen meine Brust. „Wieso willst Du Dir eigentlich nicht eingestehen, dass Du volle Kanne in mich verknallt bist?“ Der harte Wasserstrahl, der jetzt übers Dach wanderte, ließ mich verstummen. Ihre Hand fuhr über meinen Kopf.
Mein rechter Nasenflügel zuckte. Eine riesige Bürstenrolle schob sich übers Auto. Ihr blauer Schal schmiegte sich in mein Gesicht. Lauter leichte Lappen tupften behutsam unser Auto ab. Ihre Hände zogen mein Gesicht an ihre endlos weichen Lippen. Heiße Luft hetzte tausend kleine Wasserperlen über die Windschutzscheibe. Lauras heißer Atem trieb gleichzeitig kleine Schweißperlen auf meine Stirn und meinen Rücken. Die kleine Ampel an der Ausfahrt zeigte grünes Licht. Draußen vor dem Tor wollte ich nochmal über die Seitenscheißen wischen und stieg aus. „Cool, jetzt darf ich fahren!“ Das hatte Laura nicht als Frage formuliert. Ich wehrte mich nicht. Wie ferngesteuert drückte ich ihr die Autoschlüssel in die Hand.
Wir fuhren sinnlos durch die Stadt, hielten an den dampfenden Schornsteinen des Kraftwerks Klingenberg und knutschten, parkten an der Insel der Jugend in Treptow und knutschten, fuhren zum Polendenkmal am Friedrichshain und knutschten. Beim Fahren wärmte ich meine linke Hand unter ihrem Oberschenkel. Das war alles neu und doch irgendwie vertraut.
Weihnachten bei meinen Eltern war cool, entspannt und stressfrei. Sie hatten für Laura sogar vegetarischen Kartoffelsalat gemacht. „Ach, ich bin da nicht so dogmatisch“, meinte sie nur und probierte beide. Als wir alle vor der Glotze hockten, Russen- und Tschechenmärchen guckten, wurde ich ganz gefühlsduselig. Laura auch. Wieder spürte ich ihre unheilvolle Anziehungskraft. Sie hat sich stets ihre alles andere als abgestumpfte Sentimentalität bewahrt. Das mag ich an ihr.
Es war schon spät. Wir waren müde und kämpften mit aller Macht gegen die Weihnachtsträgheit an. Nächste Station: Pfefferberg. Der ganze Saal tanzte. Alle, mit denen wir mal zur Schule gingen, waren da, auch alle Nachbarschulen Schliemann, Lennon, Kollwitz, Kamille und Schwitters. City und The Doors sangen, was wir fühlten. Tanzen, küssen, küssen, tanzen. Die unverhofften Geschenke sind die schönsten.
Wir hatten schon Blasen an den Füßen und Risse in den Lippen, als wir Hand in Hand in unseren verqualmten und durchgeschwitzten Klamotten auf der Fahrbahnmitte durch die dunkle Dunckerstraße stolperten. Unser Weg durch das Treppenhaus dauerte noch länger als der gesamte Heimweg, weil wir alle paar Stufen übereinander herfielen und uns gegenseitig unsere kalten Hände unter die Pullover auf die nackte Haut pressten. Irgendwann landeten wir doch in ihrer neuen Wohnung. Kein Gedanke mehr an Tim. Er war weg. Sie zündete eine Kerze an. Im Fenster, in mir. Wir sprangen ins Bett. Ich blieb. Ich blieb noch lange … bis vor einer Stunde.
Nochmal Danke an alle die uns schöne Musik gezeigt haben, alle Blogger und Hörer die den Scheiß hören, komentieren oder einfach nur feiern und ein großes Dankeschön an Max Winter der unsere Überrasschungen schön verpackt hat!
Hier noch ein paar weitere Fotos die leider keine passende Musik mehr gefunden haben!
Wie schnell sich die Atmosphäre einer Wohnung ändern kann! „Alle quatschen immer von New York Style, aber richtig „Ghetto“ will auch keiner leben.“, hatte Tim immer gesagt. Alle waren sowieso immer Pseudo-Inties, Sell Outer, Faker und Toys, außer ihm natürlich.
Von Tims alter Bleibe konnte man in Lauras neuen vier Wänden nicht mehr viel erkennen. Außer das kleine Bad mit der ranzigen Dusche war nicht mehr viel geblieben. Sie hatte echt in 24 Stunden die ganze Bude auf den Kopf gestellt. Alles war anders. So durchstrukturiert, so dekoriert, so ordentlich. „Diese Seite kannte ich noch gar nicht an Dir.“, sagte ich, als ich heute zu Laura kam, um zu sehen, ob sie noch Hilfe brauchte. „Tja, Überraschung – ist ja auch fast schon Weihnachten.“
Sie hatte einen Adventskranz mit vier brennenden Kerzen auf ihrem runden Glastischlein zu stehen. Das fand ich erst etwas spießig, gewöhnte mich aber recht schnell dran.
"Welcher Rap-Film weckt mehr Weihnachtsstimmung als Beat Street?", dachte sich Andy und steckte den uralten ZDF-Mitschnitt auf VHS-Kassette ein, bevor er zu Tims alter Wohnung ging, die jetzt Lauras neue Bleibe war.
Eigentlich hatte ich auch gar keine Lust auf irgendwelche Schlepp- Schieb- und Möbelrückaktionen. Ich hatte eine Videokassette mitgebracht, die ich mit ihr gucken wollte: „Beat Street“, den hatte ich schon ewig nicht mehr gesehen und tierisch Bock drauf, wegen der Weihnachtsparty-Szene und so.
„Ich fühle mich so angekommen.“, sagte Laura. Sie stand mitten im Raum, die Hände in die Seiten gestützt, schaute sich um und sah so zufrieden aus wie lange nicht mehr. Hatte Tim die Stadt verlassen, um Laura zum Glück zu verhelfen? Schließlich war es seine Idee, sie hier einziehen zu lassen. Sicher nicht ganz uneigennützig. So ersparte er sich die Suche nach einem Nachmieter.
Ich verwarf den Gedanken noch bevor ich ihn ganz formuliert hatte. Überhaupt wollte ich das Thema Tim heute ruhen lassen.
Ein sensibles Thema musste ich trotzdem anschneiden. „Was ist denn nun mit Weihnachten bei Dir?“, fragte ich vorsichtig. „Weiß nicht, mein Vater fährt zu meiner Oma. Da kann ich mit hinkommen, hab aber keinen Bock drauf. Die keifen sich eh nur an, die war ja auch mal ein hohes Tier in der Partei und dann kommen die ganzen Ost-Geschichten und der Stasi-Mist wieder hoch. Darauf hab ich keinen Bock – nicht zu Weihnachten.“
„Kannst bei uns mitfeiern, wenn Du Böcke hast.“, sagte ich etwas kleinlaut. „Weiß nicht. Mal sehen.“ „Ist alles ganz entspannt bei uns, keine großen Zeremonien, kein Gesinge, kein Geschrei, alles ganz locker und ohne Geschenke.“, versuchte ich sie zu überzeugen. „Danach können wir ja noch um die Häuser ziehen.“
Ich stand am Fenster und guckte die Plasteblinkersterne in den Festern gegenüber an und meinte: „Das kann einen ja verrückt machen, dieses Geblinker“. „Du kannst einen verrückt machen“, hörte ich Lauras Stimme plötzlich nur wenige Zentimenter neben mir sagen. Sie umarmte mich. „Danke … für... für das Alles.“ Dann drückte sie mir einen Kuss ins Gesicht. „Ich komm' mit zu Dir, morgen, wenn das für Deine Ellies okay ist.“
Ich war etwas verlegen. Es kostete mich etwas Überwindung, doch dann drückte ich ihr auch einen Kuss auf die Wange. Wir setzten uns auf die Couch, guckten Beat Street und sie schlief direkt nach der Santa-Rap-Szene ein.
... und bringt euch ne mini "V.schau"aufs nächste Jahr von Herrn Raeter. "Ohne Titel" sind drei Beats u.a. mit London-Feature: Auf einer Skizze gibt sich Hey!Zeus von ObbaSupa die Ehre!
In meinem Weihnachtskalender war heute ein Sack. Gestern hätte der besser gepasst bei dem ganzen Umzugsstress. Ich war heute an der Uni und habe gemerkt, dass ich gestern eigentlich einen Klausurtermin hatte. Naja, verpeilt. Zweimal kann ich mir das noch erlauben. Sollte ich aber besser nicht.
Eigentlich war es ein ganz ruhiger Tag. Die Straßen sind trotz des Regens voller Menschen, die Weihnachtsgeschenke horten, aber ich bin ganz entspannt. Ich hab mir heute eine FAZ gekauft. Die Merkel hat in einem großen Artikel mit der Spendenaffäre ihrer CDU abgerechnet. Nigeria wird demokratisch. Ansonsten ist nichts los auf der Welt, zumindest nichts, was mich sonderlich interessiert.
Public Enemy - By the time I get to Arizona Dieses Lied war mal eine Hymne für Andy. Da war er 14, großer Revolutionär und gegen alles. Er hatte es mal auf Rockradio B aufgenommen und über Wochen und Monate hinweg gehört. Das Video dazu entdeckte er erst acht Jahre später in den alten VHS-Kassetten, die ihm Tim vorm Umzug überlassen hatte.
Tim hat sich noch nicht aus Düsseldorf gemeldet. Wie ich ihn kenne, wird er das auch nicht so schnell. Laura will heute einen Tag für sich haben. Wenn sie ihren ganzen Kram auspackt und einräumt, will sie ihre Ruhe und niemanden dabei haben. Das kann ich verstehen. Gerade habe ich wahllos eine seiner staubigsten VHS-Mitschnitte eingelegt. Krass, Public Enemy: By the time I get to Arizona habe ich vor acht Jahren rauf und runter gehört. Das Video dazu habe ich nie gesehen. Wir hatten kein MTV.
Das war schon ganz schön beeindruckend und ging mir unter die Haut, oder war es die ganze komische Situation gerade, in der alles im Umschwung ist - so wie damals, nur jetzt auf einer privateren, einer persönlichen Ebene?
Ich weiß es nicht. Morgen werde ich mich mal vorsichtig bei Laura melden und sie fragen, wo sie Weihnachten verbringen wird.
Jumble ist ein neues Netlabel aus der FUSElab/ Passage Familie. Die beiden Russischen Labels oder Plattformen sind in den letzten zwei Jahren eher durch hochwertige Ambient Veröffentlichungen in Erscheinung getreten ist. Jetzt gibt es in Zukunft "deepest forms of dub/ bass and experimental/ future beats". OK.
Jumble gibt seinen Einstand tatsächlich mit einer heftigen Compilation, die locker mit Fly Russia und der Russland Ausgabe der Finest Ego Serie mithalten kann. Zwar werden auch Europäische Künstler auf "Re-Jumble" gefeaturet, meineserachtens halten die den Vergleich zu Ihren Kollegen aus dem Osten aber nicht stand. Pick your favourites:
So schnell kann es gehen. Da hielt nun der weiße Transporter von Tims Vater in der Duncker, wir haben alles schweigend eingeladen, zwei Drittel seines Krams vorher in die Mülltonnen auf dem Hof geknallt. Dann war der Augenblick gekommen. „Ich stehe nicht so auf dramatische Abschiedsszenen.“, meinte Tim und kletterte auf den Beifahrersitz. Sein Vater hob lässig eine Hand vom Lenkrad und ließ den Motor an. Beim Ausparken kurbelte Tim die Scheibe runter und sagte: „Ick meld' ma. Schöne Weihnachten und so.“ Er formte seine linke Hand zum Peace-Zeichen und sagte noch: „V – die Außerirdischen kommen!“. Das war ja mal wieder typisch. Diese Serie aus den späten Achtzigern war bei mir schon ganz in Vergessenheit geraten. Das Auto fuhr an und rollte in Richtung Danziger Straße.
Die Schlussszene des 1976 gedrehten Sowjetfilms "Sklavin der Liebe" spiegelt Lauras Gefühlswelt wider, nachdem ihre Familie Weihnachten nicht mehr gemeinsam verbringen wird und Tim sie verlassen hat.
Laura behielt die Fassung. Sie hielt Tims Wohnungsschlüssel in der Hand. War ja jetzt ihre Bleibe. „Jetzt können wir ja mit meinem Kram anfangen.“ Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Ich war jetzt schon von der Schlepperei ko. Dabei war das erst die erste Halbzeit. Dafür ging mir der Rest dann aber recht leicht von der Hand, auch ohne Umzugswagen. Ich weiß nicht, wie oft wir zwischen Göhrener Ei und Dunckerstraße hin und her gelaufen sind. Auf jeden Fall war es schon spät am Abend, als Laura und ich kaputt auf Tims alte Couch gefallen sind. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Sie stand nochmal auf, kramte in einer Penny-Tüte und holte eine Kerze vor, aus einem blauen Müllsack zog sie eine hippiemäßige Decke. Sie stellte die brennende Kerze ins Fensterbrett ihrer neuen Duncker-Wohnung, deckte uns zu und nach vielleicht drei Minuten waren wir schon im Traumland.
Geredet haben wir gestern nicht viel. Dazu fehlten uns die Zeit, die Kraft und die Nerven. Ein Satz von Laura hat sich bei mir aber doch gut eingebrannt: „Es kommt mir manchmal vor, als würde mich irgend 'ne höhere Macht von allen Menschen, die mir wichtig sind, wegzerren. So wie wenn man Schönhauser Allee in so einer alten U-Bahn steht, wo man noch hinten rausgucken kann. Eigentlich hat man noch festen Boden unter den Füßen, aber die Mietskasernen links und rechts fliehen vor einem. Und wenn man in den schwarzen Tunnel eintaucht, sieht man nur noch ein kleines taghelles Fensterchen am Horizont, das immer kleiner wird.“
Irgendwann nachts, die Kerze war schon ausgebrannt, bin ich aufgewacht. Ich bin aufgestanden, hab mir Lauras schlafendes Gesicht im Mondschein angesehen. So unbesorgt und friedlich sah sie schon lange nicht mehr aus. Ich habe ihr noch einen Zettel im Dunkeln gekritzelt, dass ich für sie da bin, wenn sie mich braucht, habe sie ordentlich zugedeckt, hab die Tür leise hinter mir zugezogen und bin nach Hause gegangen.
Manchmal überschlagen sich die Ereignisse. Ich war gerade bei Tim. Seine ganze Wohnung war wie auf den Kopf gestellt. In seinem Tapedeck leierte Willy Nelsons „You are always on my mind“. Früher kannte ich das Lied nur von den Pet Shop Boys und fand es doof. Jetzt nicht mehr. Ich kam gar nicht zum Fragen. Tim erschlug mich mit einem Wortschwall aus Erklärungen. „Ich breche die Zelte ab. Das hat doch alles keine Zukunft hier. Ich hab keinen Bock auf OP-Instrumente sauber kratzen. Ich hab gestern den ganzen Tag rumtelefoniert und mir eine neue Zivi-Stelle klargemacht – als Gärtner – in Düsseldorf“. In Wessiland also. „Und wann?“, wollte ich wissen. „Sofort, noch vor Weihnachten. Da ist jemand ausgefallen. Ich kann gleich loslegen und kriege eine bezahlte Dienstwohnung. Mehr bekam ich erstmal nicht mit. Erst beim Satz: „Muckemäßig können wir unsere letzte Show eh nicht toppen.“ horchte ich wieder auf. Das war's dann also mit Andy Waffen und Timinator XXX.
Willie Nelson - Always On My Mind Tim neigt zu radikalen Entscheidungen. Spricht nun sein schlechtes Gewissen durch dieses Lied? Der Kurztripp nach Brüssel hat offensichtlich das Fernweh in ihm geweckt. Jetzt sitzt er auf gepackten Koffern. Andy und Laura haben das Nachsehen. Andy kriegt die Tapes und Laura die Wohnung mit der Raufasertapete.
„Und mit Laura?“, fragte ich vorsichtig. „... hab ich schon gesprochen. Die musste ganz schön schlucken. Aber in letzter Zeit war eh der Wurm drin. Ihr ganzer Familienstress ist doch nicht mein Stress. Mir geht das nur noch auf den Sack. Außerdem läuft da eh nichts mehr.“ Ich war schockiert: „Die hat Dir so oft den Arsch gerettet“. „Stimmt schon, bin ich ihr ja auch dankbar für. Ich mag sie ja auch voll, aber das hat alles einfach keine Zukunft. Das geht mir nur noch auf den Zünder. Ich muss weg hier. Du kriegst meine Videos und meine Tapes. Halt' sie in Ehren und mach' was draus!“ Er zeigte auf seine zwei Plaste-Klappboxen. Das waren Schatzkisten. „Und komm' mir jetzt bloß nicht mit – ähhh, das kann ich doch nicht annehmen!“. Mir war schlecht. „Dann lass Dich nicht hindern! Keine Armee kann eine Idee aufhalten, deren Zeit gekommen ist“, sagte ich. Tim reagierte wie ein Pistolenschuss: „Das hast Du geklaut! Das ist von Victor Hugo. Alta Beitaaah!“
Ich lachte beklommen. „Aus 'Die Elenden'. Gavroche und so.“ Tim spulte den Willy-Nelson-Track nochmal zurück. Sprach da doch sein schlechtes Gewissen durch dieses Lied: „Little things that I shouldn't said and done. I just never took the time“? „Wenn Du meine Hilfe brauchst, bin ich da.“ „Ick wees, aber ick komm schon klar, muss endlich och mal selber wat uffe Reihe kriegen!“. Ich nickte. Wir quatschten noch eine Weile. Er kam auf die Idee, dass Laura die Wohnung übernehmen könnte. Ich half ihm noch beim Rumrumpeln, schnappte irgendwann mein Erbstück Nummer 1 und machte mich auf den Weg.
Nach 17 Jahren trennen sich nun also unsere Wege. Der Gedanke ging mir immer und immer wieder durch den Kopf, als ich die erste Kiste mit den Kassetten nach Hause trug. Alte Erinnerungen kamen hoch – wie wir Ende der 80er im Winter im Ententeich im Friedrichshain ins Eis eingebrochen sind, Mercedes-Sterne knacken auf der ersten Klassenfahrt nach Liverpool, die erste Streetjam auf dem Helmholtzplatz … alles Geschichte. Ich glaube nicht, dass er wieder zurück nach Berlin kommt. Ich glaube auch nicht, dass er das will. Ein Kleeblatt war heute in meinem Weihnachtkalender. Ich hoffe, es bringt ihm Glück.
Ein feiner neuer Song vom "Mann der Moderne" Cholerika, der gerade mit DJ D-Fekt an einer EP werkelt. Der Track ist demzufolge auch von D-Fekt produziert. Diese Hook, wahnsinn...
und bringt euch den perfekten Sound für einen lazy Monday! Nach dem Flat Pocket uns einen schönen SoulMix geschenkt haben kommt jetzt Mr. Hulk Hodn mit einem Super Duper Jazz Mix um die Ecke...
Straight from the Hodnsack in your Face...Download (inkl. Cover & Tracklist)
Die letzten Tage sind mir ganz schön auf den Magen geschlagen. Heute will ich niemanden sehen, nichts hören, einfach meine Ruhe haben und alles sacken lassen. Der Auftritt war cool, alles drum herum fand ich total bekackt. Der Krach zwischen Laura und Tim lässt mich plötzlich zwischen zwei Stühlen sitzen. Insgeheim habe ich so eine Situation schon immer befürchtet. Jetzt ist sie eingetreten. Ich will nicht für den Einen oder für die Andere sein. Ich bin beiden loyal gegenüber. Beide haben ihre Macken. Aber jetzt gerade erscheint alles so kaputt, aussichtslos und ohne Hoffnung.
Wer war nicht schon mal allein zuhaus? Kevin, Andy Waffen, Nina Hagen und Reinhard Lakomy auch. Der hat ein Lied drüber geschrieben. Nina hat es nachgesungen und Andy hat es im richtigen Moment gehört.
Tim ist so ein Querkopf, ein Freidenker, ein Freigeist, der dauerhaft nicht mit anderen Leuten zusammen arbeiten oder leben will. Er wird irgendwann seinen Weg gehen, ohne mich, ohne Laura. Da bin ich mir sicher. Ich bin zwar gut im Organisieren, gerade vor Auftritten, aber er hat immer die kreativeren Ideen und setzt sie auch gleich um, egal um welchen Preis. Das kann ich nicht. Das ist auch nicht so schlimm. Ich will nicht von der Mucke leben. Er schon. Ich bin nicht als Rapper zur Welt gekommen. Nur Musik wäre auch nichts für mich. Das ist ein Hobby, klar, auch ein Lifestyle, aber ich glaube nicht, dass ich jemals damit meine Brötchen verdienen werde. Bei Tim kann ich es mir schon vorstellen. Jetzt hat gerade zweimal hintereinander das Telefon geklingelt. Ich gehe nicht ran. Kein' Bock.
Laura steht vor dem Nichts. Sie ist gerade extrem radikal. Einerseits will sie sich Tims Styles nicht mehr bieten lassen, andererseits zieht sie ihn immer und immer wieder aus der Scheiße. Sie verflucht ihre Mutter, weil sie ihre Familie zerstört hat und sucht trotzdem immer wieder Kontakt zu ihr. Wo sie Weihnachten sein will und sein wird, weiß sie immer noch nicht.
Ich habe gerade die Glotze angeschaltet. Da lief so eine Ost-Retro-Sendung mit Muck auf dem mdr. Die haben einen Ausschnitt aus einem Fernsehauftritt von Nina Hagen im DDR-Fernsehen gezeigt, in dem sie als Reinhard Lakomy auf die Bühne kommt und sein Lied „Heute bin ich allein“ singt. Ich kenne das Lied von einer Schallplatte, die ich mal zu Ostzeiten in so einem orangen Sperrmüllcontainer gefunden habe. Da war ich vielleicht zehn oder elf. Ich hab die Platte trotz aller Kratzer immer rauf und runter gehört. In meinem Weihnachtskalender war heute ein Adventskranz drinne. Ich bin an diesem vierten Advent auch alleine und das finde ich auch gut so.
Mit dem zweiten Teil von Godly Grooves findet einer der unglaublichsten und bizzarsten Rare Groove Mixe seine würdige Fortsetzung. Auch wenn der Überraschungseffekt aus dem schnell vergriffenen Teil 1 nicht mehr wirkt, kann hier nochmals musikalisch und textlich aufgetrumpf werden. Die Bandbreite reicht von obskuren, funkigen Songs mit christlichen Texten, über fusionartige Jazzrocktitel bishin zu psychedelischem Rock, allesamt eingespielt von unbekannten Bands aus Deutschland und Österreich, meist releast auf kleinen Privatlabels in den 70ern. Mag dem ein oder anderen jetzt zu „nerdy“ klingen, ist aber mit Sicherheit DAS perfekte Weihnachtsgeschenk für die, die schon zu „Funkvergnügen“ oder „German Funk Fieber“ feiern konnten. Zudem haben die beiden Macher DJ Scientist und Arok ein hohes Preisgeld ausgesetzt: 500 Euro (!!) winken demjenigen, der als erster eine komplette Trackliste mitsamt Interpreten, Titelnamen und den zugehörigen LPs oder Singles mit Katalognummern schicken kann! Limited Edition 100 copies only!
In meinem Weihnachtskalender war heute ein Geschenk aus Schokolade. Ob dieser Tag nun ein so schokoladiges Geschenk ist, wage ich zu bezweifeln. Auf jeden Fall ist es einer der einschneidendsten Tage dieses Jahres. Nach Tims unerwarteter Flucht nach Belgien und seiner plötzlichen Wiederkehr haben wir uns ja für den Auftritt wieder zusammengerauft. Hatten wir eine andere Wahl. Selbst Laura hat erstmal die Zähne zusammenbeißen können. Erstmal.
Bei ihrem Konzert im Pankower Lade-Klub spielten Andy Waffen und Timinator XXX erstmals ihre Rap-Coverversion des Ost-Amiga-Hits der Gruppe Babylon aus den 80ern "In der S-Bahn" und trafen damit ziemlich genau den Geschmack des jungen nordostberliner Publikums.
Der Auftritt im Lade-Klub war das Beste, was wir je auf einer Bühne auf die Reihe bekommen haben. Fast alles hat so geklappt, wie wir es uns vorgestellt haben. Die Gruppe vor uns war unterstes Toy-Niveau. Es hätten auch ruhig ein paar mehr Leute kommen können. Anscheinend sind die Namen Andy Waffen und Timinator XXX noch nicht so die Zugpferde auf den Plakaten. Wie auch - nach gerade mal sieben größeren Auftritten?
Unser erster Track „Kranke Scheiße“ mit den Ausschnitten aus unserem Telefonat mit dem Krankenhaus neulich war echt ein cooler Opener. Da haben die Leute schon fast gelegen vor lachen. Beim zweiten Part hatte Tim ein paar Textaussetzer, aber ich habe gleich eingesetzt, so als müsse das so sein. Coolstes Gimmick war, als Laura aus dem Publikum immer aus verschiedenen Ecken übergroße Oma-BHs und Schlüpper auf die Bühne geschmissen hat.
Für unsere Babylon-Coverversion von „In der S-Bahn“ war heute Premiere und die Leute sind sofort drauf angesprungen. Das wird ein kleiner Hit. Ich bin zweimal über ein Kabel gestoplert. Das muss schon ausgesehen haben, als wäre es absichtlich gewesen. Zwischendurch bin ich mal auf die Monitorbox gestiegen und prompt runter ins Publikum geknallt. Das war unfreiwillig komisch, aber komisch war es. Mir ist ja nichts passiert.
An einer Stelle hatten wir uns ein bisschen mit unseren spontanen MCing Ideen überschnitten und dann gegenseitig blockiert. Das hätte nicht sein müssen.
Aber unsere Rap-Hörspiel-Mischung kam anscheinend echt gut an und das Finale mit den Russenfilm-Samples war grandios. Wir haben das erste Mal überhaupt jemanden „Zugabe“ rufen gehört und auch prompt eine gegeben. Danach haben wir auf jeden Fall ordentlich Props gekriegt. War schon gut so. Ich hab ja gar nicht mehr dran geglaubt.
Mit Laura und Tim saß ich noch ewig auf der Terrasse. Als wir nicht mehr so recht wussten, was wir machen sollen, haben wir Wahrheit oder Pflicht gespielt. Aber wir haben immer Wahrheit genommen. Ich hätte keinen Bock auf öffentlich strippen oder knutschen gehabt, wenn die Flasche auf mich zeigt. Als das eine Mal Laura gedreht hatte und Tim vom Flaschenhals angestarrt wurde, stellte sie die Frage, die man bei solchen Spielen nicht stellt: „Bist Du schon mal fremdgegangen?“ - Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. „Ja, klar!“. „Was? Mit wem?“ - „Na mit Lina.“
Laura schnappte die Flasche, stand auf und knallte sie mit voller Wucht auf den Boden. „Du bist es doch gar nicht wert, Du... Du Vollspasst“. Ihre Nasenflügel zuckten und bevor die erste Träne die Wange runterkullern konnte, rannte sie weg.
Lina war mal ihre beste Freundin. Irgendwann nicht mehr. Keine Ahnung warum. Ich wollte ihr hinterher und hörte aber auf Tims beruhigende Worte: „Ach, lass mal! Die kriegst sich wieder ein. War ja vor ihrer Zeit.“ Na dann, okay. Laura war weg. Ich fühlte mich nicht wohl bei dem Gedanken. Hatte sie es drauf angelegt? Tim war ehrlich.
Gegen drei oder vier sind wir abgehauen und den ganzen Weg von Pankow bis Prenzlauer Berg gelatscht. Als wir am Rathaus Pankow waren, gab es plötzlich einen kompletten Stromausfall.
Eine Szene wie aus einem Steven-King-Film. Alle Straßenlaternen, alle Fenster und Leuchtreklamen waren plötzlich dunkel. Ganz Pankow sah schwarz. Ich bin ja kein Eso-Typ, aber gute Vorzeichen sehen anders aus.
Unsere Probleme erscheinen plötzlich nichtig und klein, wenn man guckt, was gerade in Venezuela los ist. Ein heftiger Erdrutsch hat gestern in Caracas 50.000 Menschen in den Tod gerissen. 150.000 sind über Nacht obdachlos geworden. Während die Hilfsorganisationen nun um Spender werben, will Helmut Kohl die Spender nicht nennen, die der CDU über zwei Millionen Mark illegal überwiesen haben. Laura hat bei mir übernachtet. Sie hat in meinem Bett geschlafen, ich auf der Couch. Sie ist ganz früh abgehauen. Ich habe noch gepennt.
Diese sowjetische Zeichentrickverfilmung von Steven Kings "The Battle" passte ganz gut zu Andys Gemütszustand, nachdem Tim plötzlich wieder aufgetaucht war.
Vorhin klingelte es an der Tür. Ich machte auf. „Back agaiiiin“. Tim stand vor der Tür und grinste mich euphorisch an. Ich sagte nichts. Er textete mich zu – mit seinen Abenteuern in Brüssel. Als ich meinte, dass wir hier tausend Tode gestorben sind, weil er plötzlich weg war, quietschte er nur: „Was seid ihr denn für Spießer? Gefangene Vögel singen von der Freiheit. Freie Vögel fliegen davon.“ Ich atmete tief durch. Eigentlich wollte ich ihm in die Fresse hauen. Aber ich nahm mich zusammen und fragte ihn, ob wir den Auftritt nun durchziehen oder er noch irgendwohin müsse. „Uf Jedsten, dit wird die krasseste Rap-Show, die die Stadt je gesehen hat. Andy Waffen und Timinator XXX in full effect!“.
Gut. Dann ziehen wir es halt durch. Ich bin froh, dass ich den Auftritt noch nicht abgesagt habe. Ich habe Tim gesagt, er solle so schnell wie möglich zu Charité fahren und Bescheid sagen, dass er wieder da ist. Das hat er auch gemacht. Nachmittags hat er mich angerufen und erzählt, dass er jetzt strafversetzt wird – in die Sterilisation, noch vor Weihnachten. Aber das wäre okay für ihn. „Lieber OP-Instrumente sauber kratzen als im Schichtdienst Zombies durch die Gegend schieben.“
Als er weg war, brauchte ich etwas Zeit für mich und guckte mir die sowjetische Zeichentrick-Version einer Steven-King-Story an. Keine Ahnung, was „Srazhenie“ heißt.
Laura kam kurz darauf vorbei. Sie war ganz blass und wollte mit mir reden. Sie sagte, ihre fehle die Kraft, weiter mit Tim zusammen zu sein. Warum sagt sie das mir und nicht ihm? Ich konnte und wollte ihr keinen Rat geben. Ich hab nur gesagt, dass wenn sie ihn liebt, auch seine Fehler und Schwächen akzeptieren muss. Er tue das ja schließlich auch. Das stimmte natürlich nicht und das wusste sie auch. Heute erstickten ihre Wut und ihre Verzweiflung die Tränen.
Es hat den ganzen Tag geregnet. Keine Spur von Tim. Ich habe ihm nochmal einen Zettel an seine Wohnungstür geheftet, hab seine Ex-Freundin in Mahlsdorf und die in Spandau angerufen. Eine war recht teilnahmslos, die andere besorgt, aber distanziert. Das geht ganz schön an die Substanz. Ich hatte den ganzen Tag so einen Druck auf der Brust, so eine Wut. Oder war es Angst? Ich weiß es nicht.
Auch in Lauras Haar hingen nun Perlen, keine echten, nur Andys Tränen. Welches Lied wäre in diesem schweren Augenblick passender gewesen als Omegas "Pearls in her Hair"?
Vorhin stand Laura vor meiner Tür. „Dieser Vollidiot!“ waren ihre Begrüßungsworte. „Er hat mich gerade angerufen! „Der ist in Brüssel, der Arsch!“ Was macht denn Tim in Brüssel? Sie meinte, er hätte einfach alles stehen und liegen gelassen und sei mit einem Last Minute Flug nach Brüssel geflogen. Na toll. Ich nahm Laura in den Arm. Sie ist einen Kopf kleiner als ich. Nun kullerten auch noch meine Tränchen wie Perlen über ihr ohnehin schon nasses Haar.
Ich wusste nicht, ob ich jetzt erleichtert sein sollte. Es dauerte eine Weile, ehe sie sich wieder beruhigt hatte. Ich kramte meine Schallplatten durch und legte eine Platte aus Ungarn auf. „Das ist ja geil. Kommt mir bekannt vor. Ist das nicht Fränkie Schöbel?“ „Nee, das ungarische Original – Omega – Pearls in her hair“. Wieder zog sie eine Schnute und begann zu weinen, als der Refrain losging.
Irgendwann konnte sie wieder normal reden und erzählte mir, was er ihr am Telefon an den Kopf gehauen hat. Ihn würde hier alles ankotzen. Wir, dann die ganzen halbtoten Zombies beim Zivildienst, die er in der Charité durch die Gegend schieben, dass die ganze Arbeit an der Mucke und der Show an ihm hängen bleiben würde und überhaupt alles.
Einen Pennplatz hätte er noch nicht, aber müde sei er auch nicht.
Sie hätte ihm gesagt, er solle seinen Arsch so schnell wie möglich wieder her bewegen. „Mal sehen. Ich weiß nicht, ob die Kohle reicht.“, soll er gesagt haben. Laura hat dann wohl wütend den Hörer aufgeknallt, sich kurz besonnen und ist dann zur Sparkasse gedackelt, um ihm ihre letzten 200 Mark zu überweisen.
Was tun? Soll ich den Auftritt absagen? Ich weiß es nicht. Laura pennt gerade in meinem Bett. Ich leg mich gleich auf die Couch, wenn ich hiermit fertig bin. Vielleicht kommt er ja wieder zur Besinnung und steht morgen wieder da. Bei seiner Zivi-Stelle werden sie ihm garantiert einen Einlauf machen. Das bleibt definitiv nicht ohne Konsequenzen. Ich gehe jetzt auch pennen.
Das Tape läuft bei mir seid Wochen auf Dauerrotation - vier Songs von Mountain und Contorsionist, zwei Rumänischen Produzenten, die in anderen Zusammenhängen unter den Namen Candlestickmaker und Montgomery Clunk bekannt sind.
Zu hören gibt es abgründigen und vielschichtigen Ambient, dem seine Herkunft aus IDM (Mountain) und Dubstep (Contorsionist) mit jedem Ton anzuhören ist. Irgendwo zwischen Amon Tobin, Burial und Tim Hecker.
Free Download via Asiluum Records -------------------
Ein dicker Fliegenpilz war heute in meinem Weihnachtskalender. Kein gutes Zeichen. Tim ist weg. Keiner hat eine Ahnung, wo er stecken könnte. Seine Zivi-Stelle hat bei seinen Eltern angerufen, weil er gestern nicht erschienen ist. Laura geht die Wände hoch. Wir waren nochmal bei ihm. Nichts, keiner da. Wir wussten nicht, was wir tun sollen und sind alle Orte in der Stadt abgelaufen, an denen er sich sonst aufhält und so ziemlich unseren gesamten Freundeskreis abtelefoniert. Nichts.
Komische kosmische Träume ereilen Andy, nachdem er mit Laura die ganze Stadt nach Tim abgesucht hat.
Alle haben gleich gefragt, ob ihm irgendwas zugestoßen ist. Woher soll ich das wissen? Laura war in der Schönhauser Allee bei den Bullen. Das war natürlich ein Schuß in den Ofen. „Der ist doch volljährig. Nach einem Tag legen wir da noch kein Aktenzeichen an. Warten sie mal noch ein paar Tage, wenn er dann noch nicht wieder da ist, können sie sich ja nochmal melden.“, war die Ansage, die sie von denen bekommen hat.
Laura vermutet, dass er eine Andere hat. Das halte ich aber für Quatsch, da er dann trotzdem zum Zivi gehen würde. So krass ist er nicht. Wir sind dann noch ziellos durch die Stadt gezogen. Das hatte was Beklemmendes und was Schönes zugleich, weil wir echt alle Orte abgelaufen sind, die unser Leben in den letzten gemeinsamen Jahren geprägt haben. Unwahrscheinlich, dass es ihn dahin zieht. Auf einmal nimmt diese pupige Kleinstadt kosmische Dimensionen an. Vorhin, als ich nach Hause gekommen bin, hab ich mich kurz auf die Couch geschmissen und bin sofort weggepennt. Ich hatte einen krassen Traum. Ich bin mit Laura durchs Weltall geflogen, um Tim zu suchen. Dabei hat sie mir die ganze Zeit schöne Augen gemacht. Das hat mich ein bisschen verwirrt. Jetzt binich hellwach und finde keine Ruhe mehr. Keine Ahnung, was wir noch tun können.
Hoffentlich ist er bis zum Auftritt wieder da. Einerseits bin ich sauer, andererseits kann ich ihm ja auch keine Vorschriften machen. Ich denke nicht, dass ihm was passiert ist. Will ich auch nicht.
Diese Nachricht ereilte uns gerade aus dem schönen Leipzig:
Endlich ist es soweit – am 15. Dezember läuft unsere erste Rapsendung „Rappourtoi“ auf RadioBlau. Los geht’s um 18 Uhr per Livestream oder im Leipziger Äther (Frequenzen und Stream auf radioblau.de). Wir haben mit viel Herzblut und Schweiß getüfftelt, gebastelt und geschraubt. Es erwarten euch u.a. Interviews mit Mad C, der Queen der Graffiti-Scene, und Arvid Wünsch, dem Videomacher der Funkverteidiger und Katharsis. Außerdem haben wir, passend zur Winterzeit, ein Christmas-Rap-Special für euch vorbereitet und einen Exklusiv-Track von Main Moe im Gepäck. Weil wir euch mehr um die Ohren hauen wollen, als nur eine Sendung, haben wir auf unserem Blog feine-reime.blogspot.com jede Menge Infos rund um die Sendung und ihre Inhalte für euch zusammengetragen. Auf diesem könnt ihr ab Donnerstag die einzelnen Beiträge nachhören.
Grüße aus Leipzig,
Jule und Albi
In meinem Weihnachtskalender war heute ein Bär drin. Der russische Braunbär - das russische Militär ist heute in Grosny einmarschiert. Die großen Kriege sind gleich um die Ecke, zwei drei Länder weiter. Die kleinen Kriege kochen schon hinter der nächsten Wohnungstür. Der kalte Krieg geht weiter – in Lauras Familie. Ihre Mutter hat die Mauer gebaut. Ihr Vater spielt Westen und Laura die Diplomatin. Doch in diesem Krieg wird es keinen Mauerfall mehr geben. Nie mehr. Der Traum ist aus.
Ich habe mich nachmittags mit ihr getroffen. Wir wollten zu Tim, doch der war nicht da, obwohl er nur Frühdienst hatte und wir verabredet waren. Wir saßen vor seiner Bude auf der Treppe und haben lange über ihre Familie und die ganze ausweglose Situation gequatscht und uns die Muster der abblätternden Deckenfarbe im Hausflur angeguckt. Richtig tröstende Worte konnte ich nicht finden.
In der Nachbarwohnung brach plötzlich ein heftiger Streit aus. Die Satzfetzen wiederholten sich und wurden immer lauter, fast so, als wäre gar keine Tür zwischen der Wohnung und uns auf der Treppe. „Ick hab Dir tausend mal jesacht …“, „Du? Du hast mir jar nüscht zu sagen, Du … Du!“ Es war einfach nicht auszumachen, warum sich das Pärchen jetzt gerade fetzte.
Wer hinter diesen Wänden die Hosen anhatte, wurde schnell klar. „Du alter Hühnerficker, mit de Kehrschaufel kannstet kriegen.“, „Du altet Biest, hörste jetz uff mir zu dröschn?“ Da legte sie aber erst richtig los und und wir bekamen Magenkrämpfe vom Lachen. Knallende Zimmertüren, poltern, scheppern, brüllen, „So, da hastet!“, plötzlich Ruhe. Totenstille. Nichts. Kein Mux. Sechs oder sieben Minuten, ach, länger. Unsere Hintern waren kalt.
Draußen wurde es schnell dunkel, gegenüber sah man schon die chinesischen Plastesterne blinkern. „Sollen wir mal klingeln?“, fragte Laura. „Ach, Pack schlägt sich, Pack...“, „Nach vertragen klang das aber nicht gerade.“, „Lass abhauen, wir machen Tim 'nen Zettel an die Tür, hast'n Stift?“. Sie zog eine Kostenlos-Postkarte, einen Luftpost-Umschlag und einen Füller aus ihrer NVA-Gasmaskentasche. Ich fand cool, dass sie noch mit Füller schreibt. Was sie schrieb, weiß ich nicht. Wir latschten zu ihr ins Göhrener Ei und guckten uns den ganzen Abend Kurzfilme an. Mehr war nicht.
Was interessiert mich der erste Geburtstag eines Elefantenbabys? Im Radio und in der Boulevardpresse gibt es gerade kein anderes Thema. Der elf-Öltanker, der gerade vor der bretonischen Küste abgesoffen ist, juckt anscheinend nur die kleine Greenpeace-Fraktion und die Hotels dort, die in den nächsten Jahren auf Strandurlauber verzichten müssen. Eine kranke Scheiße ist das alles.
Ab 1:35 min verwendeten Tim und Andy diesen Ausschnitt aus dem 1983 aufgenommenen Sowjet-Film "Pazany" - "Kerle" für das Outro ihrer immer näher rückenden Show im Lade-Klub.
Tim und ich haben heute unter Programm geprobt. Viel Zeit bleibt ja nicht bis zur Show. Wir haben noch ein paar coole Gimmicks eingebaut. Mal sehen, ob und wie die ankommen. Ein paar Aufnahmen aus dem Zirkus und von der abhanden gekommenen Charité-Patientin Fuchs. Das war wirklich lustig. In einem von Tims Russenfilmen haben auch noch ein cooles Sample für unser Outro gefunden. Das passt echt wie die Faust aufs Auge. Jetzt steht eigentlich alles. Nur an unserer Textsicherheit müssen wir noch arbeiten. Egal, ansonsten Freestyle!
Als wir fertig waren, hat Tim mir noch erzählt, dass Laura ihm gestern wieder die Ohren voll geheult hätte, wegen der ganzen Family-Action und so. Er könne das mittlerweile nicht mehr hören und sei voll angenervt von ihrem Gelaber. Überhaupt würde sie ihm in letzter Zeit nur noch auf den Sack gehen und es liefe ja eh nicht mehr viel zwischen ihnen. Harte Nummer. Ich wollte erst was sagen, ließ es aber im Raum stehen, da man bei ihm in letzter Zeit eh gegen Wände redet, wenn man mal ein kritisches Wort äußert.
Als ich wieder zu Hause war, habe ich nochmal mit Laura telefoniert und mir die andere Seite angehört. Nicht schön. Sie hat nochmal Kontakt mit ihrer Mutter aufnehmen wollen. Die macht aber gerade total dicht und redet nur über den Anwalt. Zu Laura meinte sie nur: „Du musst das verstehen.“ Ich hab gefragt, ob ich rüber kommen soll. Das wollte sie aber nicht. Sie will lieber alleine sein. Im Hintergrund lief wieder die ganze Zeit Moby, Portishead und Massive Attac. Von der Ami-Frau gestern habe ich weder Laura noch was Tim erzählt. Irgendwie mache ich mir um beide gerade Sorgen. Tim ist voll am Kippen und Laura kurz vorm Zusammenbruch. Wie soll das nur weitergehen?
In meinem Weihnachtskalender war heute ein Stiefel drinne. Nicht ohne Grund. Ich bin heute wirklich durch die ganze Stadt gestiefelt. Ich liebe ja die Amerikaner für ihre offene Art. Heute hat mich am Alex eine blonde Ami-Frau angequatscht, ob ich wüsste, was man in Berlin in acht Stunden alles machen kann. Die hatte was. Blond, hübsch und schlank und mit wenig Gepäck hat sie sich in den letzten zwei Wochen mit Interrail-Ticket durch Europa geschlängelt. In Berlin hat sich Julie , so hieß sie, Ende November in irgend 'nen Zug gesetzt und heute musste sie wieder zurück - von Berlin Tempelhof nach Brüssel und von dort zurück nach New Jersey.
"Ich laufe durch Moskau" hieß der alte Russenfilm, den sich Andy und die amerikanische Interrail Bagpackerin Julie nach zehn Kilometern Fußweg durch Berlin im Acud Kino in der Veteranenstraße angesehen haben.
Wir kamen schnell ins Gespräch. Ich schlug vor, ihr alle Ecken der Stadt zu zeigen, die sie in keinem amerikanischen Reiseführer findet. Ich bin mit ihr vom Alex durchs Scheunenviertel in die Rosenthaler Straße gezogen. In der Auguststraße waren wir in einer Video-Ausstellung in der "Galerie zum Weißen Elefanten".
Zwischen Rosenthaler, Invaliden und Bernauer ist ja ganz schön tote Hose. In immer kürzeren Abständen klebten in den kleinen Läden Schilder mit Aufschriften wie "Räumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe" oder "Nachmieter gesucht". Das ist mir bisher noch gar nicht so aufgefallen. Aber vier Augen sehen mehr als zwei, vor allem, wenn zwei Augen davon alles noch wacher und interessierter wahrnehmen. Ich habe alles übersetzt, soweit ich konnte. Jedes Schild. Doch auf die Frage: „What does Schlecker mean?“ wusste ich keine rechte Antwort. Vielleicht 'sucker'. Von ihr kam nur ein: „Why would they name a drugstore 'sucker'? That's strange!“
Sie hat sich auch darüber lustig gemacht, dass an den Flaschencontainern Einwurfzeiten standen. "This is so german." Was sollte ich da sagen?
Nach einer halben Stunde auf den Mauerpark-Schaukeln sind wir Bornholmer Straße in die S-Bahn gestiegen und nach Treptow gefahren. Ihr „Oh, I love all the graffiti here.“ klingt mir immer noch in den Ohren. Vielleicht hätte sie es nicht sagen sollen. Ich hab ihr erstmal einen Vortrag über die Berliner Writer-Szene gehalten und sie regelrecht zugebombt mit meinem SOS, SAS, RCB, GHS, GFA, KO, CAF, BAD, ESC, THC, MRN, BFM-Gelaber.
Wir sind ein Stück an der Spree lang, dann zum Sowjetischen Ehrenmal, wo sie bestimmt einen ganzen Film vollgeknippst hat. Über Kreuzberg und die Eastside-Gallery sind wir bis nach Mitte zurück gelatscht. Sie hat echt gut durchgehalten. Wir waren dann noch im Acud Kino in der Veteranenstraße und haben uns einen russischen Film angeguckt „Ja schagaju po Moskwe“ - Ich laufe durch Moskau. Passt ja. Julie meinte, sie wäre noch nie in so einem kleinen Kino gewesen und erst recht nicht in einem Kino im vierten Stock.
Nach dem Film waren wir noch unten im Café. Eine Jazz-Band machte da gerade Soundcheck für ihr Benefiz-Konzert. Krasse Atmosphäre war das. Das Acud pfeift auch gerade auf dem letzten Loch und sammelt Spenden. »Ums überleben der Kultur - 3000 x 100 DM zur Rettung des ACUD« stand auf einem Plakat. Julie zog ihren Brustbeutel vor und stopfte all ihre Münzen und Scheine in eine Spendendose, Pfund, Lire, Schilling, Kronen, Pesos. Das hat mich beeindruckt.
Julie zeigte mir ihr Skizzenbuch. Sie ist Modezeichnerin. In allen Städten auf ihrer Tour hat sie gezeichnet, was die Leute da so am Leib tragen. Das ist ihr „personal research project - just for fun“. Ich war schwer beeindruckt. Plötzlich wurde sie hibbelig. Noch eine knappe Stunde bis zum Abflug. Ich wollte sie noch zum Flughafen bringen. Das lehnte sie strikt ab. Das wäre ihr zu dramatisch. Aber zum U-Bahnhof Rosenthaler Platz habe ich sie noch gebracht. So leidenschaftlich hat sich bei mir noch nie jemand verabschiedet. Das war mein erster richtiger Kuss seit, ach, Ewigkeiten. Ihr "Thank you so much Andy for ..." wurde vom "tuuuudiiiiduut" und den zuknallenden U-Bahn-Türen abgeschnitten. Jetzt ist sie weg.